Tipp 10 Wie erzeuge ich Spannung?
Dir ist sicherlich klar, dass Spannung nur entstehen kann, wenn etwas passiert, wenn deine Handlung nicht linear und gleichförmig vor sich hinplätschert, sondern wenn sie Höhen und Tiefen aufweist. Dramaturgisch sollte die Zahl der Tiefen, der Krisen und Dilemmas überwiegen. Dein Protagonist braucht Herausforderungen, Aufgaben, Rückschläge und auch emotionale Tiefs, damit er glaubwürdig wird und der Leser mit ihm mitfiebern kann.
Wenn ein einzelner Kämpfer immerzu gegen zwanzig übermächtige Gegner gewinnt und sich hinterher dazu noch völlig ohne Kratzer in den nächsten Kampf stürzt, wird das auf Dauer langweilig. Wenn der Autor fünf Seiten lang beschreibt, wie das schöne Mädchen auf der Wiese Blumen pflückt, ist das genauso öde.
Wenn der Kämpfer aber nach dem dritten toten Gegner zusammenbricht und gefangen genommen wird, dann wird’s spannend. Der Leser trauert bestenfalls mit und fragt sich bang: Wie wird er da wieder herauskommen?
Wenn das schöne Mädchen auf der Blumenwiese eine Leiche oder eine Blume entdeckt, die alle Krankheiten der Welt heilt, dann wird’s spannend. Wie reagiert es, was geht in ihm vor?
Spannung erzeugst du außerdem, indem du die Herausforderungen für deine Protagonisten nicht vorhersehbar gestaltest und auch die Lösung nicht auf dem Präsentierteller daher spazieren lässt.
Für die Herausforderungen und die Lösungen gibt es einen guten Trick. Schreib auf, was dir in den Kopf kommt. Die ersten drei (mindestens) streichst du, nimm frühestens die vierte Idee. Damit kannst du den Leser überraschen und wieder für Spannung sorgen.
Für die Lösung kannst du außerdem schon vorher im Text ein Detail verankern. Wie, verrate ich dir in Tipp 12.
Also: Herausforderungen, Aufgaben, Rückschläge, Krisen, emotionale Tiefschläge, enttäuschte Erwartungen, Krisen, dramatische Ereignisse und Dilemmas sind wichtig für Spannung.
Ein Dilemma zu erschaffen, finde ich, ist eine Herausforderung, erzeugt aber besonders spannende Moment. Hier muss sich der Held nämlich zwischen zwei unangenehmen oder gar unmöglichen Alternativen entscheiden.
Zum Beispiel:
Danios ist mit seiner kranken Mutter und seinem jüngeren Bruder unterwegs. Sie werden verfolgt. Die Verfolger sind schon ganz nah, vielleicht zehn Minuten entfernt. Die Drei müssen eine Schlucht überqueren. Der Autor war so nett und hat dort eine Hängebrücke aufgespannt. Die ist allerdings schon sehr alt und wacklig.
Die Mutter geht als erste hinüber. Da reißt eins der Seile. Es wird klar, dass nur noch ein Mensch die Schlucht überqueren kann.
Hinzu kommt, dass Danios Bruder Höhenangst hat und sich absolut weigert, die Brücke zu betreten. Er klammert sich an den Pfosten und schreit vor lauter Angst.
Was soll Danios nun tun?
- Den Bruder zurücklassen und selbst die Brücke passieren, in der Hoffnung, der Bruder folgt ihnen trotz der Höhenangst (vorausgesetzt, die Brücke hält)?
- Die Brücke zerstören, damit die Mutter wenigstens in Sicherheit ist. Und sich dann mit seinem Bruder den Verfolgern stellen?
- Den Bruder töten, damit ihn die Verfolger nicht in die Hände bekommen?
- Den Bruder überreden oder erpressen?
- Den Bruder bewusstlos schlagen, ihn auf die Schulter nehmen und die Überquerung wagen – was sie vielleicht beide das Leben kosten könnte, wenn auch das andere Seil reißt?
- Mit dem Bruder zusammen einen jungen Baum fällen, damit die Brücke stabilisieren und ihn dann Huckepack hinübertragen?
- Die Mutter bitten, noch einmal zurück zu kommen und den Bruder zu überreden? Was vielleicht bedeuten würde, dass sie auf dem Rückweg abstürzt.
- Die Brücke zerstören, damit die Verfolger nicht hinübergelangen können und mit dem Bruder in die Schlucht hinabsteigen, so dass sie den Verfolgern vielleicht entkommen oder einen Hinterhalt legen können?
- Usw.
Das Dilemma besteht darin, sich zwischen Mutter und Bruder entscheiden zu müssen und das erzeugt ein Höchstmaß an Spannung.
Wenn Liebe im Spiel ist, wird häufig das Zusammenkommen des Liebespaares (z.B. durch anfänglichen Hass) verzögert, um Spannung zu erzeugen. Das künftige Liebespaar will und will nicht zusammenfinden, obwohl dem Leser schon lange klar ist, dass die Zwei zusammengehören. Ja, das kann prickeln, aber es muss gut gemacht sein.
Manche Autoren treiben es auf die Spitze und zögern das (mitunter auch vorläufige) Happyend sehr lange hinaus, damit der neugierige Leser das Buch auch ja verschlingt.
Ein weiterer Trick besteht darin, die Liebenden sich dann endlich finden zu lassen und anschließend durch einen Schicksalsschlag, höhere Mächte oder ein Missverständnis wieder zu trennen, damit der Leser bis zum Schluss nicht weiß, ob die Zwei sich dauerhaft kriegen oder nicht.
Das kann man machen. Man kann das auch auf andere Handlungen übertragen. Zum Beispiel könnte die Heldin deines Romans den goldenen Gral suchen, ihn finden, ihn dann wieder verlieren, um ihn erneut finden zu müssen.
Du erkennst das Muster? Suchen, finden, verlieren, suchen…
Es gibt durchaus erfolgreiche Bücher, in denen der Autor gefühlte Ewigkeiten über eine Autofahrt oder eine Wanderung berichtet und der Leser darauf wartet, dass nun endlich einmal etwas passiert. Nach zwanzig Seiten ist es dann soweit – zwanzig Seiten, die nichtssagend sind und die, bei Licht besehen, überflüssig sind und den Leser nur Zeit und Geld kosteten.
Wenn dir solche Romane gefallen, dann spricht nichts dagegen, selbst so etwas zu schreiben.
Ich halte diese Art des Schreibens allerdings für reine Taktik . Der Autor hält mich mit Nichtigkeiten bei der Stange, weil ich natürlich unbedingt wissen will, ob Frank und Marie sich nun schließlich küssen oder ob der Bär, der Erwin seit geraumer Zeit hinterherschleicht, nicht endlich mal zuschlägt.
Ich frage mich in solchen Fällen, ob dem Autor nichts anderes eingefallen ist oder ob er schlichtweg zu faul ist, eine Handlung zu erfinden, die den Namen „spannend“ wirklich verdient. Bei einigen Lesern scheint die Taktik tatsächlich zu funktionieren, bei mir nicht. Und deshalb empfehle ich dir, an keiner Stelle deines Romans solche nichtssagenden Längen/ Passagen unterzubringen.
Wie kannst du denn noch Spannung erzeugen?
- Cliffhanger
- Vorausschau
- Überraschende Wendungen
- Emotionale Ereignisse
Der Cliffhanger funktioniert sowohl bei Kapitelenden als auch am Romanende. Während der Cliffhanger am Kapitelende nur dafür sorgen soll, dass der Leser das Buch noch nicht aus der Hand legt, sorgt er am Ende des Romans (vermutlich) dafür, dass auch noch der nächste Teil der Serie gekauft wird.
Die Vorausschau kann auch mitten im Text verwendet werden und dient in der Regel dazu, den Leser neugierig zu machen und ggf. auf spätere Ereignisse einzustimmen.
Der Cliffhanger sollte nicht mit der Vorausschau verwechselt werden, obwohl das Ergebnis für den Leser ähnlich ist.
Beispiel für einen Cliffhanger:
Joanne hing nur noch an einer Hand am Fenstersims. Der Rest ihres Körpers schwang im aufkommenden Wind hin und her. Sie hatte keine Kraft mehr, sich festzuhalten und ließ widerstrebend los.
Beispiel für eine Vorausschau:
Hätte Joanne gewusst, was sie während ihres Sturzes aus dem 10. Stock sehen würde, hätte sie ihre klammen Finger viel eher vom Fenstersims gelöst.
Der Cliffhanger wirft die Frage auf, was mit Joanne nun passieren wird.
Die Vorausschau dagegen impliziert, dass Joanne überleben wird, weil sie sonst – mit Blick auf den Sturz -nicht auf den Gedanken gekommen wäre, den Sims eher loszulassen. Und der Autor stellt gleichzeitig die Frage in den Raum, WAS genau denn Joanne gesehen haben könnte. Weshalb hätte sie in ihrer Todesangst die Finger eher gelöst?
Beide Spannungselemente sollten meiner Meinung nach sparsam eingesetzt werden, da auch sie bei zu häufiger Verwendung den Leser ermüden.
Spannungsaufbau durch überraschende Wendungen ist eine weitere Möglichkeit, deine Leser mit Genuss bei der Stange zu halten. Im Prinzip basiert diese Art des Schreibens darauf, die Erwartungen des Lesers vorherzusehen und dann, mehr oder weniger, das Gegenteil passieren zu lassen. Wer es gut kann, dreht die Handlung nochmals.
Beispiel:
Alwin beugte sich über die schlafende Irina. Ihre Haut war so zart, ihr Mund so schön geschwungen, dass er nicht widerstehen konnte. Er legte seine Lippen ganz leicht auf ihre und genoss Irinas unvergleichlichen Duft, bevor er sich wieder von ihr löste. Als sie die Augen öffnete, schlug er ihr mit der Hand ins Gesicht.
Irinas verdutzten Blick ignorierend, schlug Alwin noch einmal fester zu.
Das Mädchen schrie. Ihre Hand fuhr ihm abwehrend entgegen. Alwin hielt sie fest und sah Irina grimmig an.
„Still, Kind. Ich habe dir gerade das Leben gerettet.“
Und dann küsste Alwin Irina noch einmal und zermalmte das giftige Insekt, das auf ihrer Stirn gesessen hatte, zwischen den Fingern.
Wir haben uns also auf eine Kussszene eingestellt. Dann schlägt Alwin unverhofft zu und wir fragen uns, warum um Gottes willen er so etwas Bösartiges denn macht.
Nun drehen wir die Szene noch einmal (machen wieder eine Liebesszene daraus) und erkennen, dass Alwin aus Liebe gehandelt hat.
Mein Beispiel ist nur eine Minisequenz. Viel mehr Effekt hat es natürlich, wenn der Text länger ist und der Leser nicht bloß ein paar Sekunden im Ungewissen bleibt.
Bei den Spannungselementen sollten emotionale Ereignisse auf jeden Fall Verwendung finden. Auch der stärkste Kämpfer hat eine Mutter, deren Tod er betrauern wird und die streitsüchtigste Frau weint, wenn ihr Geliebter sie verlässt. Indem wir unsere Figuren emotional herausfordern, verleihen wir ihnen Tiefe und wir können Spannung erzeugen, indem wir die Frage aufwerfen, was derjenige denn nun tun wird.
Der Autor kann mit der Intensität der Emotionen spielen, Wut, Trauer, Hass, Liebe usw. erzeugen. Dies steuert er mit der Art der Ereignisse.
Wir fragen uns, kann der Kämpfer den Tod seiner Mutter abschütteln und weitermachen, wie bisher? Oder bricht er zusammen und ändert sein Leben?
Was ist mit der Frau? Erkennt sie, dass ihre Streitsucht das Ende der Beziehung herbeigeführt hat oder entwickelt sie Hass auf ihren ehemaligen Geliebten?
Aber nicht nur die starken Emotionen können Spannung erzeugen. Auch die leisen, feinen Töne sind gut geeignet, gerade im Bereich der Romantik.
Vielleicht hast du auch schon mal das Wort „Spannungsbogen“ gehört?
Das kannst du dir durchaus bildlich vorstellen. Du beginnst, langsam Spannung aufzubauen, steigerst diese bis zum Höhepunkt und lässt sie dann wieder abflauen. Das hat den Sinn, dem Leser Zeit zum Luftholen, zum Verschnaufen zu geben.
Ein Roman, der permanent und durch viele Elemente Spannung erzeugt, strengt den Leser an. Natürlich muss zum Beispiel ein Krimi spannend sein. Aber wer aufmerksam ist, bemerkt zum Beispiel, dass die Spannung nicht von Anfang an geschürt wird, sondern erst langsam wächst. Viele kleine Puzzleteile steigern die Spannung. Ist der Täter schon fast ergriffen, aber ein Hindernis taucht auf, steht sie kurz vor dem Höhepunkt, der dann in der Ergreifung des Täters besteht. Danach flaut die Spannung langsam wieder ab, wenn der Täter der Gerechtigkeit zugeführt wird und wir vielleicht noch erfahren, was aus dem Opfer oder den Kommissaren wurde. Man kann selbstverständlich dem ersten Spannungsbogen einen weiteren hinzufügen usw. Der Täter stand kurz vor der Ergreifung, entwischte aber und wird nun erneut gejagt. Dieses Mal dauert es nicht so lange, bis er gesichtet wird usw.
Jedoch auch hier gilt: nicht überstrapazieren. Abwechslung muss rein. Niemand mag einen Kommissar, dem der Täter permanent entwischt, weil er zu doof ist. Also die Jagd mit ausreichend kreativen und überraschenden Wendungen versehen.
Dieses Abflauen der Spannung wird von manchen Autoren durch einen Cliffhanger am Ende des Romans verhindert. Der Leser soll begierig sein, die Fortsetzung zu kaufen, um zu erfahren, wie die Geschichte denn nun wirklich ausgeht. Das kann man machen, wenn man die Fortsetzung zeitnah auf den Markt bringt. Wenn der Leser drei Jahre auf den nächsten Teil der Story warten muss, ist das zu lang.
Mich persönlich lässt ein Cliffhanger am Ende eines Romans meist unzufrieden zurück, weil ich es als Nötigung empfinde, zum Kauf der Fortsetzung „gezwungen“ zu werden. Das kann man eleganter lösen, indem ich zum Beispiel den Leser durch meinen Schreibstil und mit meinen Figuren so begeistere, dass er gerne wieder etwas von mir lesen möchte. Beispiele dafür gibt’s genug.
An anderer Stelle noch ein Wort zum offenen Ende einer Story, das nichts mit einem Cliffhanger zu tun hat. Siehe Tipp 21.