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Weihnachtsfeier


Hicks.

Ich glaube, ich bin gansch schön bedrunken. Mein Gopff!

`S dreht sich ein bisschen. Der Weihnachtsbaum wird immer schneller, nanu?

Vermutlich bin ich in Ohnmacht gefallen. Ein Typ, der dem Kerl aus dem Roman von dieser, wie hieß sie noch mal, Dingsda?, wie aus dem Gesicht geschnitten ist, guckt mich mit runden Augen an. Auf den zweiten Blick, sehe ich, dass es eine altmodische runde Brille ist. Aha. Ich wollte mich schon wundern.

Seine Lippen kräuseln sich und sagen etwas zu mir. Lauter unverständliches Zeug. Seinen Namen kriege ich aber mit.

„Harry?“

Der Typ nickt.

Vorsichtig setze ich mich auf, halte dabei mit einer Hand meinen Brummschädel fest und überlege dabei, ob ich mich gleich übergebe oder erst nachher.

Der Anstand gewinnt.


Dieser Harry redet immer noch mit mir. Faselt etwas Unverständliches und zerrt mich am Arm. Als ob ich wissen müsste, was er von mir will. Er wedelt mit der anderen Hand und zeigt auf zwei schwarze Dinger, die etwas entfernt scheinbar in der Luft hängen. Ein kalter Wind weht aus ihrer Richtung. Nanu, Halloween ist doch vorbei?

„Lass mich in Ruhe!“

Sissys Punsch schwappert in meinem Bauch und gluckst, während ich mich bemühe, meinen Arm aus dem festen Griff von Harry zu ziehen. Dieser Bengel hat aber auch Kraft. Mann! Wenn ich nicht so besoffen wäre, würde ich ihn umpusten, ehe er Lilaflanellläppchen stammeln könnte.

„Nu lasch mich doch mal los!“

„Nein, du musst mitkommen“, redet Harry weiter auf mich ein. „Du wirst sterben!“

„Mir doch egal. Mir is schlecht!“

„Die bringen dich um!“, setzt er nochmal nach. Sein Kopf ist vor lauter Aufregung ganz rot.

„Damit macht man geine Schärze“, lalle ich, etwas munterer, aber immer noch mit Drehrumbum in der Rübe. „Ich ha´m bisschen zuviel Punsch genippelt. Hab´ doch mal Mitleid!“

„Hab´ ich doch“, stöhnt Harry. „Deswegen bin ich hier. Deine Kollegen haben alle schon das Weite gesucht. Du bist der letzte.“

Harrys Ton gefällt mir gar nicht. Und wieso bin ich der letzte hier? Eben habe ich doch noch mit Klaus und Bicki rumgealbert. Wo sind die denn auf einmal hin? Ich versteh´ gar nix mehr.

„Komm schon!“, drängelt Harry und guckt ängstlich auf die schwarzen Schwebedinger.

Ich lasse meinen Blick schweifen. Der große geschmückte Weihnachtsbaum steht einsam da und blinkt mit seinen roten Lichtern. Von Klaus und Bicki und den anderen keine Spur, wenn man mal von den Pappbechern und dem anderen Zeugs absieht, das wild auf dem Boden verstreut ist. „Wenn das die Puschiis morgen sehen…“, rutscht es mir geistreich von der Zunge, während mein Quälgeist die Augen verdreht und mich erneut am Arm zerrt.

„ICH bin ein Mann. Sollen doch diese Dinger da kommen“, sage ich todesmutig und stolpere  mit Schwung über die Teppichkante. Fast wäre ich auf Bickis Schreibtisch geknallt. Harry hält mich am Schlawittchen fest und verhindert das Ärgste. „Guder Junge.“

Ich glaube, jetzt muss ich doch mal munter werden. Der Junge verströmt einen komischen Geruch. Rieche ich da Angstschweiß?

Seine hektischen Blicke wandern durch den ganzen Raum. Dabei zerrt er mich mit sich. Man sieht dem kleinen Kerl gar nicht an, was er für Kräfte hat.

„Jetzt hab ich´s!“ Erfolgreich stemme ich die Zehenspitzen in den Teppichboden und hebe den Zeigefinger. „Ich träume, stimmt´s?“

Das würde diesen äußerst realistischen Angstgeruch erklären. Oder ist das meine eigene Fahne, die ich mir mit Hilfe von Sissys Punsch angewerkelt habe? Boah!

Harry schüttelt ärgerlich brummend den Kopf und will mich gerade weiter drängeln, als er hinter mir etwas zu sehen scheint. Behände schubst er mich zur Seite und herrscht mich an: „Duck dich unter den Tisch und komm erst wieder vor, wenn ich´s dir sage. Sie sind da!“

Natürlich luge ich unter dem Tisch vor. Wär´ ja gelacht, wenn ich mir von so einem Bürschchen was sagen ließe.

Was ich für die blinkenden Lichter des Weihnachtsbaumes gehalten hatte, waren offensichtlich die Augen eines weiteren ungebetenen Gastes. Und Rausch hin oder her, ich merke, wie sich mir jedes einzelne Haar zu Berge stellt. Eins nach dem andern.

Da schwebt gleich noch eine dunkle Gestalt hinter dem Baum hervor und gesellt sich zu den anderen beiden Genossen. Sie strömt eine Eiseskälte aus, die sich im Nu im ganzen Raum verbreitet. Ich bekomme eine Gänsehaut und hoffe, dass ich wirklich träume. Obwohl unter den schwarzen Mänteln und den Kapuzen keine Körper zu sehen sind, fühle ich: Das ist das personifizierte Böse!

Bitte lieber Gott, lass das einen Traum sein!

Vergessen sind Brummschädel und Übelkeit. Ich habe nur noch Augen für Harry, der sich todesmutig mitten im Raum positioniert hat und einen komischen Stock schwenkt. Denkt er, er kann die Dinger verhauen?

Die schwarzen Geister nähern sich Harry. Ihr Anblick lähmt mich. Selbst wenn ich fliehen wollte, könnte ich es nicht. Meine Glieder sind bleischwer. Gerade noch so kann ich mich an der Tischkante festhalten. Da erdröhnt ein lauter Schrei und mit einem fürchterlichen Blitz bricht ein Lichtstrahl aus dem Stock hervor, saust an allen vier Wänden entlang und sprüht Funken. Das hat die Welt noch nicht gesehen!

Ich vergesse über dem Staunen, mich an der Tischkante festzuhalten und falle rückwärts gegen irgendetwas Hartes. Au!

Wahrscheinlich hast du jetzt alles verpasst, denke ich gleich, als ich die Augen aufschlage.

Ich liege in komisch verrenkter Position unter Bickis Schreibtisch und meine Kollegen starren auf mich herunter.

„Sind sie weg? Wo ist Harry?“

Während ich meine Knochen sortiere, sehen mich alle merkwürdig an. Nur Meier, unser Abteilungsleiter grinst. „Nun kommen Sie erst mal da vor. Haben wohl doch ein Schlückchen zuviel gehabt, Schnarchberger?“

Ich verstehe gar nichts mehr. So nüchtern wie gerade jetzt, habe ich mich lange nicht mehr gefühlt.

Die Blicke meiner Kollegen sind vielsagend.

Von der rauschenden Weihnachtsfeier sehe ich keine Spur mehr. Auf dem Teppich liegen keine Reste herum und einige Kollegen sind schon an ihrem Schreibtisch am arbeiten. Als ob nie etwas gewesen wäre.

Und natürlich ist auch nirgends eine Spur von Harry zu sehen. Das haut mich um.

So einen realistischen Traum hatte ich noch nie!

Ich schüttle den Kopf, grinse Meier an und murmle etwas in meinen Bart. Meier klopft mir auf die Schulter und meint: „Machen Sie sich erst mal ein bisschen frisch. Sie sehen ganz zerknautscht aus.“

Genau wie ich mich fühle!

Mein Gang ist noch etwas unsicher, als ich in Richtung Toilette schlurfe. Mir ist saukalt. Da. Hinter dem Weihnachtsbaum! Eine Bewegung? Ein Schauder durchrinnt mich.

Das Beste wäre, ich würde hier so richtig schnell verschwinden.

Natürlich gewinnt meine Neugier die Oberhand. Ich drehe mich um und riskiere noch einen Blick. Durch die dichten Zweige des Weihnachtsbaumes erspähe ich erst einmal gar nichts, außer …

Vorsichtig sehe ich mich um, ehe ich hinter die Tanne krabble. Drei säuberlich zusammen gelegte schwarze Kapuzenmäntel liegen dort. Sie riechen irgendwie merkwürdig und als ich sie berühre, kriecht mir ein eisiger Finger das Rückgrat entlang. Blitzschnell lasse ich die Dinger fallen und lege den Rückwärtsgang ein. Ganz egal, was hier letzte Nacht passiert ist. Ich für meinen Teil bin überzeugt, dass ich mächtiges Glück hatte. Während ich mir ein paar Tannennadeln vom Pullover putze und die Vorübergehenden milde angrinse, nuschle ich in meinen Bart: „Danke Harry.“