Vöglein
Bernard schob die falschen Zähne noch einmal zurecht und lächelte sich zufrieden im Spiegel zu. An dessen Seite klebte das großformatige Bild des Henry Satuffé, dem Bernard dank seines Könnens inzwischen sehr ähnlich sah. Der eigentliche Träger des Namens Satuffé lag, mit Klebeband gekonnt verschnürt, im Kleiderschrank seines Hotelzimmers im „Vier Jahreszeiten“, wo er auch die nächsten 12 Stunden zubringen würde.
Tatsächlich stand ihm, wie Bernard bei einem letzten Blick in den Spiegel fand, das grau gefärbte Haar gut und verlieh ihm den gewünschten seriösen Anstrich. Perfekt.
Die Watte, welcher sich Bernard zum Auspolstern der Wangen bediente, schmeckte fad. Das war ein hässlicher Nebeneffekt, hinderte ihn aber nicht daran, sein Lieblingslied „Money Money Money“ zu trällern.
Bernard Wansner, alias das Vöglein, pfiff geübt die hohen Akkorde, während er sich dem mittelgroßen Aktenkoffer auf dem Bett zuwandte. Unter dem Spezialwerkzeug lag, umsichtig verpackt, eine hervorragende Kopie von Vernets Orientalischem Seehafen, einem Werk aus dem Jahre 1755.
Satuffé galt als Kenner französischer Malerei des 18. Jahrhunderts und war soeben in München angekommen, um das Original zu begutachten. Bernard hatte ihn umgehend in den Kleiderschrank verfrachtet und seine Verwandlung in Henry Satuffé in Angriff genommen, was angesichts des verknitterten Äußeren des Originals nahezu der Schaffung eines Kunstwerkes gleichkam.
Bernards Ruf war in Sammlerkreisen legendär. Niemand wusste, wie er tatsächlich aussah, und das machte ihn so erfolgreich. Bisher war Bernard nur ein einziges Mal ertappt worden. Er hatte gut fünf Jahre im Roten Ochsen zu Halle abgesessen. Eine Zeit, der er den Beinamen „Das Vöglein“ verdankte und an die er höchst ungern erinnert wurde.
Mit seinem typischen Triller, dem rollenden Pfiff eines Wellensittichs nicht unähnlich, unterbrach Bernard seine musikalische Einlage und streifte vergnügt Satuffés Mantel über, der ihm wie angegossen passte.
Nachdem er einen kurzen Anruf getätigt hatte, versenkte Bernard sein Handy in der handlichen Reisetasche, die auch sein Schminkzeug und diverse andere Hilfsmittel beherbergte.
Dieser Auftrag würde besonders leicht zu erledigen sein. Satuffé war, das hatte Bernard in Erfahrung bringen können, zuletzt vor etwa 10 Jahren in der Pinakothek gewesen, wo Vernets hübsches Gemälde ausgestellt war. Der jetzige Direktor, welcher ihn in Empfang nehmen und zu dem Bild führen würde, trug den putzigen Namen Müllermaier und bekleidete erst seit kurzer Zeit sein Amt. Natürlich war er hoch erfreut, Satuffé endlich einmal kennen zu lernen.
Die Gefahr, dass jemand Bernards schauspielerischen Trick durchschauen könnte, lag augenscheinlich bei Null. Was Bernard nicht daran hinderte, einen ordentlichen Batzen Kleingeld für die Erledigung des Jobs einzustreichen.
Der Direktor der Pinakothek führte ihn persönlich durch die Ausstellung und Bernard ließ es sich nicht nehmen, einige anerkennende Worte zu den dort aufgehängten Gemälden zu äußern. Sein französisch eingefärbtes Deutsch nötigte dem Gastgeber Respekt und Wohlwollen ab, ein Effekt, welcher die Glaubwürdigkeit der von Bernard verkörperten Figur auf das Angenehmste unterstützte.
Der Orientalische Seehafen war zur Begutachtung bereits in das Büro des Direktors geschafft worden und stand dort, dezent beleuchtet, auf einer Staffelei. Bernard setzte zunächst den Koffer ab und blieb ergriffen vor dem Kunstwerk stehen. „Oh, wie wunderbar. Isch atte ihn nicht so schön in die Erinnerung.“
Müllermaier, der sich in dem emotionalen Ausbruch seines Gastes sonnte, lächelte geschmeichelt. „Ja, nicht wahr? Wir sind sehr dankbar, dass wir dieses kleine Meisterwerk hier beherbergen dürfen.“
„Eine kleine Meisterwerk? Oh, Monsieur, Sie sind zu eh, wie sagt man? Bescheiden? Es ist, so scheint mir, eine die schönste Arbeit unseres geschätzten Claude Joseph.“
Mit einer einladenden Handbewegung signalisierte Müllermaier, dass Bernard sich der Staffelei beruhigt nähern könne. „Ah, diese Pinselstrisch. So typisch für Claude Joseph. Und eh, doch immer wieder besonders. Meinen Sie nischt?“
Müllermaier, um eine hochdeutsche Aussprache bemüht, stimmte Satuffé zu, während der an der Tür platzierte Wachmann die Augen verdrehte.
Bernard griff nach seinem Koffer, stellte ihn auf dem leer geräumten Schreibtisch des Herrn Direktors ab und entnahm ihm ein Paar Handschuhe. „Darf isch?“
„Aber natürlich Herr Satuffé. Dazu sind Sie ja hier.“
Müllermaiers Blick streifte Bernards Koffer nur flüchtig. Seine Aufmerksamkeit galt voll und ganz der Transaktion, welche Satuffé nun vollzog.
Mit fester Hand nahm Bernard das Gemälde von der Staffelei und legte es auf einen nahe stehenden Tisch, welcher von zwei Strahlern flankiert wurde. Bernard wandte sich wieder seinem Koffer zu und sah, während er ihm eine schmale Taschenlampe entnahm, unauffällig auf die Uhr.
Gleich musste es soweit sein.
Die Spannung erreichte ihren Höhepunkt, so fand Bernard stets, wenn ein dritter Spieler ins Geschehen eingriff. Bernards Puls beschleunigte sich nun mit jedem weiteren Zucken des Sekundenzeigers, während er nach außen hin den liebenswürdigen und nicht aus der Ruhe zu bringenden Satuffé verkörperte, welcher sich mit Kennerblick über das Gemälde beugte.
Da. Das erlösende Läuten des Telefons.
Müllermaier ging an den Apparat und verlor schon nach wenigen Worten die Fassung. „Oh mein Gott!“
Bernard grinste innerlich und setzte eine erstaunte Miene auf. „Ist etwas passiert?“
„Oh Monsieur Satuffé. Bitte entschuldigen Sie.“ Müllermaier keuchte. „Ein Vandale im Ausstellungsraum zwo. Er hat mehrere Bilder besprüht. Oh mein Gott!“
„Aber das ist ja schrecklisch. Gehen Sie. Fassen Sie den Täter. Isch komme alleine klar. Sie müssen eilen!“
Wie Bernard es geplant hatte, entfloh Müllermaier fast kopflos. Die Chance, dass auch der Wachmann das Büro verlassen würde, standen 50 zu 50. Einen atemlosen Augenblick hoffte Bernard, dass sich die Waage zu seinen Gunsten neigte.
Der Wachmann blieb.
Bernard hob die Schultern. Schade, war wohl nix zu machen. Aber mit diesem einen Herrn würde er schon klar kommen.
Das Bild unauffällig aus dem Rahmen zu lösen und durch die Kopie zu ersetzen, sollte nicht zu schwer sein. Er stand mit dem Rücken zu dem Wachmann und verdeckte mit seinen ausgepolsterten Hüften den Ort des Geschehens.
Während Bernard vorsichtig das aus dem Ärmel gezauberte Keramikmesser ansetzte, pfiff er fast übermütig und ganz automatisch sein geliebtes „Money Money Money“. Bald würde er eine ganze Menge davon im Sparstrumpf verstauen können.
Seinen Schlusspfiff tirilierte Bernard mit Inbrunst und vollendete des Messers Werk. Noch ehe er jedoch einen weiteren Atemzug tun konnte, spürte Bernard den kalten Stahl einer Waffe am Hals.
„Welch ein Zufall Vöglein! Nimm ganz vorsichtig die Pfoten hoch.“
„Isch weiß nicht. Was machen Sie ier mit mir? Isch bin keine Vöglein.“
„Pfoten hoch und dreh dich nicht um, Vöglein. Ich glaube, du solltest dir einfach mal ein anderes Liedchen zulegen.“
Bernard fühlte den runden Abdruck der Pistole im Genick. Er konnte es nicht fassen, dass dieser blöde Mistkerl ihn erwischt hatte. „Wieso?“, quetschte er heraus.
„Ach Vöglein. Dein Trillern hör´ ich aus einem ganzen Schwarm singender Vögelchen heraus. Vielleicht kannst du´s ja demnächst im Roten Ochsen noch ein wenig verfeinern!“
Satuffé, alias Bernard, alias Vöglein ließ entmutigt die Schultern hängen und die Luft pfeifend aus seinem angespannten Körper entweichen. Fast hörte sich das Geräusch wie das Trillern eines Wellensittichs an. Fast.