Kalt erwischt
Susi kämpfte sich schwitzend durch den verschneiten Wald. Heute morgen noch hatte die Sonne einen wunderschönen Tag versprochen. Nun – ein paar Stunden später und einige Kilometer von ihrem Hotel entfernt – fragte Susi sich, wie um alles in der Welt, sie auf ein paar Sonnenstrahlen herein fallen konnte. Eigentlich sollte sie schon lange an der Bar sitzen, einen Glühwein schlürfen und den ganzen sportlichen Idioten dabei zusehen, wie sie sich die Knochen brachen. Stattdessen hatte sie auf Rudi gehört, diesen Schwachkopf!
Schnaufend stapfte Susi durch den tiefen Schnee, machte ein unglückliches Gesicht und ignorierte die weiße Pracht auf den Tannen. Gerade als sie wieder einen ihrer klobigen Stiefel anhob, sah Susi etwas auf dem Boden funkeln. Vielleicht würde das doch noch ihr Glückstag werden? Vorsichtig setzte sie ihren Fuß ab und bückte sich. Mit ihren Fäustlingen versuchte Susi das kleine glänzende Etwas zu greifen. Vergebens. Das Glitzerding versank im lockeren Pulverschnee.
„Hrrch!“ entfuhr es Susi.
Eine Minute später lag sie bäuchlings zwischen den Tannen, hatte beide Fäustlinge ausgezogen und buddelte dem ominösen Gegenstand hinterher. Das war doch nicht zu fassen! Als ob am anderen Ende einer zieht, dachte Susi und biss die Zähne zusammen. Nun erst recht! Wie verrückt schob sie den Schnee beiseite, aber immer wieder rutschte er nach und begrub das Glitzerding unter sich. Gerade so, dass noch eine kleine Ecke hervor sah und verlockend funkelte.
Susi kniete sich hin und beobachtete das Teil.
Es bewegte sich nicht.
Na, warte!
Harmlos pfeifend fixierte Susi das Ding und stürzte sich mit einem Satz, der jedem Wilddieb Ehre gemacht hätte, auf das Objekt ihrer Begierde. So musste sich ein Olympiasieger fühlen, dachte sie, als ihre Finger endlich das Metall berührten und stieß einen Schrei aus. „Juchhu!“
Im selben Moment blitzte es ringsum, so dass Susi nur noch bunte Kreise sah und dann gab es einen lauten Puff, der ihr eine Fuhre Schnee ins Gesicht schleuderte. „Mann!“ entfuhr es Susi und dann musste sie erst einmal das kalte Zeug aus ihren Augen reiben und Mund und Nase frei prusten. „Was war das denn?“
„Was war was?“, fragte eine knarrende Stimme.
Susi schoss hoch wie eine Rakete. Mit den dicken Schneebatzen, die immer noch ihr Gesicht umrahmten und auf ihrer Pudelmütze lagen, sah Susi ganz schön putzig aus. Ihren Gesichtsausdruck konnte man aber durchaus als äußerst dümmlich durchgehen lassen, nachdem sie gesehen hatte, wer da zu ihr sprach.
Vor ihr saß ein Frosch mit einer goldenen Krone auf dem Kopf und einer goldenen Kette um den dicken Hals und guckte sie herausfordernd an.
„Äh …“, stammelte Susi und machte große Augen. Wo kam denn dieses Vieh hier her? Mitten im Winter. Mit bemerkenswerter Logik erkundigte Susi sich denn auch genau nach der Antwort auf diese Frage, während ihr Unterbewusstsein ihr dringend empfahl, eiligst zu verschwinden.
„Also ich gehe spazieren, wenn du erlaubst.“, erklärte der Frosch mit hochmütiger Miene und machte auch das passende Gesicht dazu. „Aber was treibst du hier?“
Susi fürchtete, sich zu ihrer geistigen Verwirrung noch eine Ohnmacht zu zuziehen. „Ich, ich … ich …“
„Was ich ich ich?“
„Äh, ich gehe auch hier spazieren.“
„So?“
„Ja.“
In Susis Hirn rumpelte es gewaltig. Das konnte doch nicht wahr sein. Sie stand im Wald und redete mit einem Frosch. Und dabei hatte sie noch nicht mal einen Glühwein intus.
Der Frosch sah Susi von schräg unten an, wackelte kurz mit der Krone und sagte kühl: „Na, dann meine Teure. Dann können wir ja auch zusammen spazieren gehen. Wenn es beliebt, nimm mich doch auf deinen Arm, während wir noch ein wenig wandeln. So können wir uns besser unterhalten.“
Susi war inzwischen überzeugt, dass sie sich bei der Schneebuddelei tatsächlich irgendwie am Kopf gestoßen hatte und bewusstlos im Wald lag. Sie war sich aber ganz und gar nicht schlüssig, wie sie ihr Bewusstsein wieder erlangen sollte. Vielleicht half ein Gespräch mit Mister Frosch.
Sie zog ihre Fäustlinge über und hielt ihre Hände vor das Tier, so dass dieses mit einem Hüpfer hineinklettern konnte. „Dankeschön.“, sagte der Frosch artig und stützte sich an Susis Daumen ab, als es in luftigere Höhen ging, denn Susi wollte den kleinen Kerl und seine Krone genauer beäugen. „Zufrieden mit dem, was du siehst?“
„Äh, ja.“, flüsterte Susi. „Sag mal, ist das da wirklich eine goldene Krone auf deinem Kopf?“
„Aber sicher doch. Schließlich bin ich der Froschkönig.“
„Und um deinen Hals da, das ist tatsächlich eine goldene Kette?“
„Natürlich. Siehst du hier?“, fragte der Froschkönig und deutete stolz auf den Kettenanhänger, der über seinem kleinen dicken Bauch baumelte. „Das ist mein Wappen.“
Susi schüttelte den Kopf und betrachtete die feine Ziselierung eines Brunnens mit einem darüber schwebenden Kussmund.
„Ähem.“, hüstelte der Frosch zierlich.
„Ja? Was ist denn?“
„Also, wenn ich schon mal bei dir hier oben bin …“ Der Frosch verdrehte ein wenig die Augen, schlug die Lider nieder und schmatzte mit seinen dicken Lippen.
Susi schwante Böses. „Das meinst du doch nicht im Ernst?“
„Och, naja.“ Verlegen wackelte der Froschkönig mit dem Kopf.
In diesem Moment dachte Susi, dass ihr das sowieso niemand glauben würde. Aber wenn es schon soweit war, dass sie einen Frosch küssen würde, wollte sie wenigstens ein Andenken.
„Hör zu“, sagte Susi deshalb, „ich küsse dich, wenn du mir zum Andenken deine goldene Kette gibst. Es wird ja nicht dein einziger Schmuck sein, oder?“
Der Froschkönig sah sie an und grummelte: „Naja, wenn´s sein muss.“
Dann spitzte er die Lippen und Susi schloss die Augen, beugte sich vor und spürte eine kühle Nässe im ganzen Gesicht.
Verwirrt schüttelte sie sich und riss die Augen auf. Der Froschkönig war verschwunden. Aber auf ihrer Hand lag eine kleine goldene Kette mit einem kleinen goldenen Anhänger, der einen fein ziselierten Brunnen mit darüber schwebendem Kussmund zeigte. Und dann fiel Susi ganz gemütlich und ohne großes Getöse tatsächlich in Ohnmacht.