Die Fliegenklatsche
Katastry Bollardshyk, den seine Kameraden schlicht Katsy Bo nannten, starrte auf das Ding, das dort aus dem Hügel ragte. Es glänzte verheißungsvoll im Lichtschein des gelben Zwerges. Silbern, elegant geformt und wunderschön.
Sie hatten wegen eines Defekts auf dem blauen Urbs eine Zwischenlandung eingelegt. Das ging, seitdem die Strahlung nach der Katastrophe und den nachfolgenden Räumarbeiten wieder ein erträgliches Maß angenommen hatte. Zwar war der blaue Urbs schon lange nicht mehr blau, aber sein ursprünglicher Name blieb ihm erhalten. Katsy fand das ganz charmant und stellte sich gern vor, wie der Urbs früher ausgesehen haben mochte.
Während Pi Daslow die Reparatur am Schiff erledigte, waren Katsy und die anderen auf der Suche nach einem Souvenir ausgeschwärmt. Und da war er auf dieses Ding gestoßen. Es sah aus, wie eine überdimensionale Fliegenklatsche.
Katsy hatte die Bibliothek, die sie von den letzten Überlebenden des blauen Urbs erbeutet hatten, in ein paar Mikrosekunden durchforstet und war auf diesen Begriff gestoßen.
Eine schnelle Analyse ergab, dass neben einigen bekannten Mineralen auch Stoffe in der gitterförmigen Struktur der Fliegenklatsche enthalten waren, die man auf Nugeria nicht kannte. Schon deshalb war der Fund äußerst interessant. Und wer weiß, was noch zu entdecken war? Es konnte durchaus sein, dass Katsy heute zum Helden avancierte und künftig vielleicht nicht mehr nur einfache Dienste absolvieren musste.
Er schickte auf der Suche nach hilfswilligen Kameraden ein paar telepathische Rufe durch die Gegend. Oryk und Weila antworteten, würden aber ein Momentchen brauchen, ehe sie zu ihm stießen. Katsy grinste wissend. Diese beiden!
In der Zwischenzeit fand Katsy recht schnell heraus, dass das Ding vor ihm keine originale Fliegenklatsche war. Es war viel zu groß. Selbst der blaue Urbs hatte wohl keine derart riesigen Insekten hervorgebracht, dass eine so monströse Fliegenklatsche vonnöten gewesen wäre. Aber in Ermangelung eines anderen passenderen Wortes beließ er es bei dem Begriff. Fliegenklatsche klang doch ganz interessant!
Insekten, das war auch so ein Begriff, den Katsy erst erlernt hatte. Wenn er genug Zeit haben würde, könnte es lustig werden, sich mit der Fauna des blauen Urbs zu beschäftigen.
Er umrundete seinen Fund mehrfach und dann wagte er sich näher an den Stiel der Fliegenklatsche heran, der aus dem Sand ragte, welcher, wie Katsy gelernt hatte, aus vielen verschiedenen winzigen Steinchen bestand. Katsys Hirn schwirrte langsam von den vielen neuen Begriffen, welche die Bibliothek der Urbser ausgespuckt hatte. Ihm schwante langsam, dass dies hier eine Herausforderung für Körper und Geist werden könnte. Er war sich nicht sicher, ob er das als angenehm oder anstrengend empfinden sollte.
Sein Myokasma empfing eine geringe Strahlung, die von der Fliegenklatsche ausging. Das war nicht weiter verwunderlich. Schließlich hatte Strahlung auch dafür gesorgt, dass der blaue Urbs unbewohnbar geworden war. Wenn Katsys Nation etwas ehrgeiziger gewesen wäre, hätte sie den Planeten im Nu besetzen und besiedeln können. Schließlich konnte Strahlung in dieser Stärke den Nugerianern nicht schaden. Aber es fehlte an genug Motivation, so dass der Urbs nur für Zwischenlandungen oder das Abladen von Müll genutzt wurde. Immerhin.
Katsy puhlte am Fuß der Fliegenklatsche und stellte, obwohl der Sand immer wieder nachrieselte, fest, dass der Stiel tiefer in den Hügel hineinragte, als er ursprünglich angenommen hatte. Sein Versuch, die Fliegenklatsche in die Horizontale zu bringen, scheiterte kläglich.
Ein wenig später trafen Oryk und Weila ein. Beide glühten und Katsy konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen. „Na, Spaß gehabt?“
Weila lachte. „Und ob. Mein Stöpsel passt hervorragend in Oryks Omnum. Wenn er nur nicht immer so zappeln würde!“
Oryk grinste. Er sah sehr zufrieden aus und Katsy konnte es ihm nicht verdenken. In seiner Beziehung war immer er derjenige, der stöpselte. Aber wenn er erst diese Fliegenklatsche geborgen und den heimischen Wissenschaftlern zur weiteren Untersuchung übergeben hatte, dann würde er zur Abwechslung mal sein Omnum von Lokis Stöpsel polieren lassen.
Sie versuchten zu dritt, Katsys Fund zu bergen. Obwohl Oryk über große Kräfte verfügte, blieb die Fliegenklatsche, wo sie war. Aufrecht stehend im Sand.
„Puh. Das wird knifflig!“ Weila verzog ihr Zenris zu einem schmalen Schlitz. „Lass uns die anderen rufen. Du wirst zwar deinen Ruhm nicht allein genießen können, Katsy. Aber immerhin bist du der Finder von diesem Dings. Das kann dir keiner nehmen. Was ist das überhaupt?“
Katsy klärte sie auf. Soweit er dazu in der Lage war.
In der Zwischenzeit hatte Oryk noch ein paar Kameraden herbeigerufen, die so nach und nach zu ihnen stießen. Pi Daslow war nach erfolgreicher Reparatur am Schiff ebenfalls mit von der Partie.
Um die folgenden Ereignisse besser erklären zu können, muss man anmerken, dass die Besatzung der kleinen Raumfähre durchweg nicht zu den hellsten Leuchten im Universum gehörte. Es waren brave Nugerianer, die ihrer Nation dienten, indem sie Erkundungsfahrten unternahmen und so dafür sorgten, dass Bedrohungen schnell erkannt und umgehend beseitigt werden konnten. Ihre Talente erstreckten sich nicht unbedingt auf ein logisches Denkvermögen, sonst hätten sie unter Umständen die Frage geklärt, warum die riesige Fliegenklatsche nicht schon früher entdeckt worden war. Aber diese Frage wurde nie gestellt.
Gemeinsam klammerten sie sich an die Umrandung von Katsys Fundstück. Pi Daslow und Oryk bemerkten gleichzeitig eine kaum spürbare Wärme, die der noch immer aufrecht stehende Stiel abstrahlte. Allerdings kamen sie nicht mehr dazu, diese Feststellung zu diskutieren. Während sie alle Kräfte mobilisierten, um Katsys Fund aus dem Sand zu ziehen, tat sich gleich ein paar Meter weiter ein riesiges Loch im Boden auf. Die Nugerianer konnten es nicht bemerken, weil es sich hinter ihrem Rücken befand. Es öffnete sich mit einer beeindruckenden Geschwindigkeit. Ein Stück weiter schob sich eine zweite Fliegenklatsche aus dem Sand, so dass die sich rasant erweiternde Öffnung zwischen den beiden Fliegenklatschen lag.
Nun geriet der komplette Untergrund in Bewegung, weshalb die Nugerianer sich noch fester an die Gitterstruktur klammerten. Weila stöhnte ängstlich.
Dann ertönte ein Grollen. Als sei eine Berglawine ins Bewegung geraten. Laut, als erwachte ein schlafender Riese. Und tatsächlich war es so etwas, wie ein schlafender Riese, was sich da aus dem Sand erhob. Pi und Katsy brüllten vor Schreck auf. Die Nugerianer krallten sich verzweifelt an der Fliegenklatsche fest, obwohl diese mit rasender Schnelligkeit emporstieg. Oryk kreischte. Er hing am tiefsten über etwas, das wie ein Auge aussah und die kleine Gruppe anglotzte. Dann grollte es erneut, weil die Kreatur, die unter ihnen erwachte, nun auch noch sechs Beine aus dem Boden hob und ihren Kopf schüttelte, um die vermeintlichen Angreifer abzuwehren.
Die Nugerianer flogen durch die Luft, während das Monster seinen Hinterleib aus dem Sand schälte und mit schnellen Bewegungen nach den Eindringlingen schnappte. Die Schreie der arglosen Opfer waren bereits verhallt, als das Monster die abseits stehende Raumfähre entdeckte und diese mit etwas Mühe ebenfalls verschlang. Das Metall knackte zwischen seinen Kiefern, die es zermalmten.
Hätte Katsy noch die Gelegenheit gehabt, etwas in der Bibliothek der Urbser nachzuschlagen, wäre ihm möglicherweise aufgefallen, dass das Untier große Ähnlichkeit mit einer Kakerlake hatte. Möglicherweise.