Das Ding
Ich liebe Geschenke.
Sie müssen nicht groß sein, auch kleine Geschenke machen mir durchaus Freude. Ihr Preis ist nebensächlich. Mehr Wert lege ich darauf, dass das Präsent von Herzen kommt und der Schenkende sich etwas dabei dachte, als er es auswählte.
So habe ich mich einmal mordsmäßig über ein Buch meines Lieblingsautors gefreut, von dem ich gar nicht wusste, dass es existierte. Dieses Buch stellte alle anderen Geschenke in den Schatten und ich kann euch verraten, die waren auch nicht von Pappe!
Natürlich gefällt mir nicht jedes Geschenk, selbst wenn es mit Herzblut beschriftet ist. Und natürlich würde ich niemals aussprechen, dass mir etwas nicht gefällt, was ein anderer mit Bedacht und vielleicht auch Liebe ausgewählt hat.
Jedes Geschenk kann ein Attribut für sich beanspruchen. Für die Gelegenheit des Beschenktwerdens habe ich mir ein entsprechendes Repertoire zugelegt, das ich aus der Hosentasche zaubere, um den Gebenden zu entzücken.
Geschenke können praktisch oder witzig sein, schön, toll oder originell. Manchmal sind sie niedlich, putzig, süß, interessant, abgefahren und im besten Falle spitzenmäßig. Dann lege ich noch ein „Mein Gott!“ obendrauf.
Meist kommen meine Kommentare bei dem Schenkenden gut an, besonders wenn ich sie noch mit der passenden Gestik unterlege oder allen anderen Anwesenden wortreich präsentiere. Ich habe keine Mühe, meine Freude als echt zu übermitteln und sei die Gabe noch so hässlich und geschmacklos.
Das einzige Geschenk, bei dem es mir je die Sprache verschlug, wurde mir von meiner Oma verehrt. Es handelte sich um ein Baumwollnachthemd mit gerüschter Pluderhose, gelb-grün bedruckt. Das Teil musste mindestens seit den 50er Jahren in Omas Kleiderschrank gelegen haben und ich konnte mir gewiss nicht vorstellen, es zu tragen. Außer vielleicht zum Fasching.
Oma hatte ihr Mitbringsel in buntem Papier eingeschnürt und normalerweise ließ mir das Öffnen der Verpackung immer etwas Zeit, mich in einen Dankeschönrausch zu versetzen. Ich war beim Anblick des geschmacklosen Teils allerdings so geplättet, dass mir kein einziges Wörtchen aus meinem Repertoire einfallen wollte. Zu meiner Rettung erblickte ich zwischendrin ein schmales Spitzenbändchen, das meinen trägen Geist veranlasste, wenigstens ein: “Oh ist das eine süße Borte!“ hervorzuwürgen.
Was Oma sich bei diesem Präsent gedacht hatte, habe ich nie heraus bekommen. Vielleicht war es ja nur ein Test meiner Reaktionsfähigkeit. Ich habe schmählich versagt, glaubt mir.
Üblicherweise landen Geschenke, die ich nicht richtig mag oder nicht gebrauchen kann, in einem speziellen Fach meines Kleiderschrankes und werden wieder hervor gekramt, wenn ich mal ein ungeplantes Mitbringsel benötige. Ich muss mir nur merken, von wem ich welches Teil habe, so dass ich es nicht wieder an den ursprünglichen Geber zurück schenke.
Sehr selten bekommt ein Präsent sein neues Zuhause im Müll. Omas Nachthemd blieb auch davon verschont. Es gab nämlich einen prima Putzlappen ab.
An meinem 35. Geburtstag schenkte meine beste Freundin mir allerdings etwas, das ich weder als Putzlappen noch zum Weiterverschenken verwenden konnte. Manuela überreichte mir das Paket freudestrahlend und drängte darauf, dass ich es sofort öffnen möge. Der Karton war mittelgroß und recht schwer und ich war schon ziemlich gespannt, was Manuela sich hatte einfallen lassen.
Hätte ich das Geschenkpapier bloß nie entfernt!
Was da zum Vorschein kam, war kunterbunt, hochgradig hässlich und konnte als Ballerina genauso wie als Clown oder Papagei durchgehen. Es sah aus, wie ein mit farbigen Schuppen überzogenes Ei mit Hörnern und Ausbuchtungen. Ohne Frage schlug dieses Ding Omas Nachthemd um Längen.
Entzückt jauchzte Manuela: „Das ist eine Keramik von Simone Dygballa. Ein Unikat!“
Dank Omas hartem Training hatte ich mich schnell wieder gefasst, den Kloß in meiner Kehle herunter geschluckt und konnte das Ding gebührend bewundern.
„Hey, das ist ja ein interessantes Teil. Toll! Wie bist du denn da ran gekommen?“
Mit einem Zwinkern wies Manuela mich auf einen Schaden am Fuße ihres Geschenkes hin. „Hier guck mal. Wegen dem kleinen Schmiss habe ich diese wunderbare Statue billiger bekommen. Sonst sind die regelrecht unbezahlbar.“
Mein Entsetzen deutete Manuela Gott sei Dank als fassungslose Freude. Ich stammelte noch ein paar Dankesworte und fragte mich den Rest des Abends, womit ich das verdient hatte.
Was sollte ich nur machen? In der Wohnung bleiben konnte das Ding auf keinen Fall.
Andererseits war Manuela oft genug zu Besuch, dass ihr das Fehlen der Statue sofort auffallen würde.
Nach einer schlaflosen Nacht beschloss ich, Simone Dygballas Ausgeburt einer kranken Fantasie demnächst einen kleinen Unfall haben zu lassen. Schließlich war sie aus Keramik und nicht unverwundbar. Zunächst jedoch stellte ich das Ding auf die Treppe, wo es mich jeden Tag anstarrte und verhöhnte. Manuela freute sich und lobte mich, weil ich ihrem Geschenk einen so schönen Platz gegeben hatte. Ihre Freude beschämte und ärgerte mich, weil ich meiner Freundin nicht die Wahrheit sagen konnte.
Je mehr mein schlechtes Gewissen wuchs, desto größer wurde meine Abneigung gegen das Ding. Sie wurde so groß, dass ich die Keramik am liebsten sofort zerschlagen hätte, wenn da nicht Manuelas ehrliche Begeisterung gewesen wäre. Ich war einfach in der Zwickmühle und wusste nicht, wie ich wieder heraus kommen würde, ohne meine Freundin zu kränken.
Die unerwartete Gelegenheit, das Unikum ohne Zerstörung los zu werden, ergab sich bei einem Besuch meiner alten Kollegin Susi, die mir von einer Keramik sammelnden Sportkameradin erzählte.
Ich vergaß alle Bedenken, dankte Gott auf Knien und bot Susi an, ihrer Freundin doch das Teil mit zu nehmen. „Es ist ein Unikat von Simone Dygballa, weißt du? Bei mir passt es nicht recht zur Einrichtung. Aber deine Freundin weiß es sicher zu schätzen!“
Susis skeptischen Blick kämpfte ich energisch nieder und packte ihr das Ding schleunigst ein, ehe sie es sich anders überlegen konnte.
Manuela erzählte ich bei ihrem nächsten Besuch von meiner Tollpatschigkeit. War mir doch diese schöne Dygballa-Arbeit beim Putzen am Boden zerschellt.
Ich war ebenfalls am Boden zerstört.
Meine schauspielerische Leistung muss ganz überzeugend gewesen sein. Stolz war ich zwar nicht auf mich, aber froh, wieder mehr Platz auf der Treppe zu haben. Ihr versteht, was ich meine.
An meinem 46. Geburtstag geschah es. Meine beste Freundin kam wieder mit einem größeren Päckchen zu mir. Geschenke aller Art liebte ich immer noch und zögerte deshalb keine Sekunde, dem Karton, in dem mein Präsent verpackt war, den Garaus zu machen. Bereits beim Öffnen des Deckels überlief mich ein eiskalter Schauder. Das durfte doch nicht wahr sein!
Mir wurde ruckartig übel. Mein schlechtes Gewissen von damals kroch mit großem Getöse aus seinem Loch, während ich nur dachte: „So eine Scheiße aber auch …“.
Aus dem Karton lugte ein kunterbuntes Etwas, das mir sehr bekannt vorkam. Ich hatte nicht vergessen, wie grässlich dieses Dygballading ausgesehen hatte und vor allem, wie ich es losgeworden war. Und nun hielt ich es in alter Pracht wieder in den Händen.
Manuelas lauernden Blick spürend, kam ich mir vor, wie der letzte Schurke des Jahrhunderts. Verzweifelt murmelte ich: „Wie hast du denn das geschafft? Das sieht ja genauso aus, wie die Dygballa-Statue.“
Manuela entgegnete mir lächelnd: „Und schau mal, es hat sogar dieselbe Kerbe hier an der Seite.“
Auf welch verschlungenen Pfaden die Keramik wieder zu meiner Freundin zurückkehrte, war mir ein Rätsel. Das Leben hielt ja so manche Überraschung für mich bereit, aber musste es ausgerechnet diese sein?
Ich fühlte mich, als ob Manuela mir gerade eins mit ´nem Gummihammer drüber gezogen hatte.
Inzwischen durchbohrte mich ihr eisiger Blick. Fast hätte ich das Ding fallen lassen. Ich verspürte nicht einmal mehr die Kraft, meine Mundwinkel hoch zu ziehen. Wer mich kennt, weiß, dass dies ein Zeichen für meinen kurz bevorstehenden Scheintod ist.
In meiner Kehle richtete sich gerade ein Frosch zur Überwinterung ein und nahm mir die Puste.
Manuela muss mir angesehen haben, wie ich mit mir kämpfte. „Komm, schnapp erst mal Luft. So toll ist diese Statue ja nun auch wieder nicht.“
Lächelnd öffnete sie das Fenster. Ich war mir nicht sicher, ob Manuela mir jetzt den Todesstoß versetzen wollte. Sie musste stinksauer auf mich sein.
Meine Etagenwohnung liegt im sechsten Stockwerk und im Moment konnte ich nur denken, dass es jetzt aus mit mir war. Vielleicht hatte ich das ja auch verdient.
Ich wankte.
Dann breitete sich langsam ein fettes Grinsen auf Manuelas Gesicht aus. Sie schnappte das Dygballading und warf es aus dem Fenster, wo es auf dem Fußweg zerschellte. „Das hättest du schon damals machen sollen, du blöde Kuh.“ Sie umarmte mich fest und flüsterte mir noch ins Ohr: „Und lüg mich nie wieder an!“