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Alwine und der Schatz


Stella, Alwines große Schwester, hatte beim Würfeln gewonnen und durfte deshalb entscheiden, wie die Familie den letzten Urlaubstag verbringen sollte. Natürlich wählte Stella den Strand, was Alwine fast zum Heulen gebracht hatte. Sie wäre doch viel lieber mit dem Rad gefahren, statt nur am Meer herum zu sitzen. Aber nein, Stella wollte den ganzen Tag am Strand verbringen. Entsprechend schlecht gelaunt saß Alwine deshalb nun im Sand und ließ die feinen Körner durch die Finger rieseln, während Papa auf der Luftmatratze im Wasser herumdümpelte, Mama und der kleine Jakob Karten spielten und Stella in der Sonne briet.

Auf einmal piekste sie etwas am Oberarm und als Alwine missmutig nachsah, was das war, sah sie direkt in die Augen eines himmelblauen Vogels, der sie – ja man muss es so sagen – frech ansah. Und als ob das nicht genug wäre, fing der Vogel auch noch an zu sprechen. „Na, du? Schlecht gelaunt?“

Alwine zögerte zuerst ein bisschen. Ein sprechender Vogel war ihr noch nie begegnet. Aber naja, was sollte schon passieren? Und da ihre Laune sich eben etwas besserte, ignorierte sie die Frage des Vogels und sagte: „He, wer bist denn du?“

Der Vogel reckte sich stolz in die Höhe, spreizte ein wenig das Gefieder und antwortete artig: „Ich bin dein PGLV.“


„Mein was?“, entfuhr es Alwine.

„Dein PGLV“, sagte der Vogel vornehm und ergänzte dann, weil Alwine ihn ganz verdutzt ansah, „dein Persönlicher Gute Laune Vogel.“

So etwas hatte Alwine noch nie gehört und das sah der Vogel ihr wohl auch an. „Jeder hat einen PGLV. Schau dich doch einmal um.“

Und das tat Alwine dann auch. Tatsächlich! Jeder Mensch in ihrer Umgebung hatte einen blauen Vogel bei sich oder sogar auf sich sitzen. Bei Mama saß einer auf dem Sonnenhut, bei Jakob hatte es sich einer in der Kuhle zwischen seinen gekreuzten Beinen gemütlich gemacht, auf Stellas linker Pobacke hockte ein prächtiges Exemplar und wirklich jeder, soweit Alwine sehen konnte, hatte einen blauen Vogel bei sich. Sogar auf Papas großem Zeh saß einer und genoss das Wellenspiel. Nur dass sich niemand darüber zu wundern schien. Das fand sie merkwürdig.

Ihr persönlicher PG…Dingsda piekste sie wieder freundlich in den Oberarm und raunte: „Wir sind eigentlich unsichtbar, aber da ich deine Hilfe brauche, dachte ich, ich lass mich mal blicken, hihi.“

Alwine fand den Vogel ganz wunderschön und da er sogar sprechen konnte und nun gar davon redete, dass er ihre Hilfe benötigte, besserte sich ihre Laune schlagartig. Der Tag versprach, doch noch spannend zu werden. Alwine war begeistert. Naja, fast begeistert. Ein bisschen vorsichtig war sie auch.

„Wobei soll ich dir denn helfen? Und wie heißt du eigentlich?“

„Ich heiße Prbf“, schnarrte der Vogel und rutschte vertraulich etwas näher. „Aber du darfst Paul zu mir sagen.“

Pauls klugen Augen funkelten. „Und wobei du mir helfen kannst… Hm, ja, das ist etwas kompliziert. Kannst du ein Geheimnis bewahren?“

Nun war Alwines Neugier völlig geweckt. Sie verdrehte verschwörerisch die Augen, nickte und flüsterte: „Na klar doch!“

„Also, ähm ja, du hast doch bestimmt davon gehört, dass hier im Ort ein Laden ausgeraubt wurde. Am hellichten Tag!“

Das hatte Alwine tatsächlich gehört. Viele schöne glänzende Schmuckstücke waren gestohlen worden und nun hatte der Ladeninhaber nichts mehr, was er verkaufen konnte. In der Zeitung war ein Bild von ihm gewesen, wie er traurig vor seinem leer geräumten Laden gestanden hatte.

„Na, da kümmert sich bestimmt die Polizei drum, oder? Was hast du denn damit zu tun?“

Paul rückte noch dichter an Alwines Ohr. Seine Federn kitzelten sie am Arm. „Ich habe gesehen, wo die Räuber den Schatz versteckt haben. Aber ich kann ihn nicht alleine ausbuddeln.“

Alwines Augen wurden ganz groß. Einen Schatz zu finden, davon träumte doch bestimmt jeder. Paul und sie könnten teilen und sie hätte auf Jahre hinaus ausgesorgt, was Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke für die Familie betraf. Schon sah Alwine die dankbaren Gesichter von Stella und Mama vor sich, aber auch Jakob und Papa und die beiden Omas würden sich bestimmt freuen. Und vielleicht könnte sie ein bisschen von dem Schatz verkaufen und sich dafür so ein riesengroßes Bällebad für den Garten leisten, wie sie es sich schon immer gewünscht hatte. Ach, wäre das herrlich!

Andererseits… Der Schatz war ja eigentlich kein Schatz, sondern gehörte dem Mann aus dem Laden. Alwine biss sich auf die Lippe. Da müsste man ihn doch zurückgeben, oder? Aber wenn Paul seine Hälfte behalten wollte, wäre das bestimmt doof. Immerhin würde die Polizei fragen, was sie mit dem Rest des Schatzes gemacht hatte. Und wenn sie dann von Paul erzählte, würde ihr doch keiner ein Wort glauben. Gedankenverloren sah Alwine zu, wie nebenan ein puscheliger PGLV ein Sandbad nahm und zwischendurch immer mal einem kleinen Mädchen dabei zusah, wie es eine Sandburg baute. Das sah putzig aus!

Sie räusperte sich. „Aber wir müssen ihn komplett zurück geben, Paul, nicht wahr?“

„Natürlich, was hast du denn gedacht?“

Vor Aufregung schlug Paul mit den Flügeln und patrouillierte neben ihrem Bein auf und ab.

„Dann ist das abgemacht.“, freute sich Alwine. „Und wie wollen wir das jetzt genau anstellen?“

„Ich dachte, du nimmst die Sandschaufel von deinem Bruder, wir fliegen beide zu der Stelle, graben den Schatz aus und bringen ihn dahin zurück, wo er hingehört.“

Lustig, dachte Alwine. Paul glaubt tatsächlich, ich kann fliegen. Sie lächelte.

„Und was sagen wir meiner Mama?“

Paul hüpfte auf Alwines Knie. Seine kleinen Krallen kitzelten sie. „Deine Mama wird gar nicht merken, dass du weg bist. In einem Augenblick haben wir das erledigt, glaub mir.“

„Na, dann lass ich mir mal schnell ein paar Flügel wachsen und los geht´s“, ulkte Alwine herum. Was Paul sich so denkt, kicherte sie innerlich. Selbst, wenn sie den Schatz nicht retten konnte, war das Gespräch mit Paul doch eine spannende Sache.

Der kleine blaue Vogel schien es aber ernst zu meinen. „Warte, ich helfe dir“, flüsterte er, hopste um Alwine herum und pickte ihr feierlich jeweils zwei Mal vorsichtig auf jedes Schulterblatt. Das war ein komisches Gefühl!

Noch komischer war aber, dass Alwine tatsächlich fühlte, wie dort etwas kribbelte und kitzelte und dann, ja dann entfalteten sich auf ihrem Rücken zwei hübsche weiße Flügel, deren Federn leise raschelten.

Wenn Alwine nicht schon gesessen hätte, wäre sie spätestens jetzt umgefallen. „Wow!“, rief sie und befühlte die beiden neuen Körperteile. Das konnte nur ein Traum sein, aber ein schöner, fand sie.

Sie wedelte probehalber mit den Flügeln und freute sich, als diese sich tatsächlich im gleichen Takt bewegten. Das ging ganz leicht!

„Also, dann lass uns fliegen!“

Paul erhob sich als erster in die Luft. Bei ihm wirkte das ziemlich elegant. Alwines Start hingegen war etwas wackelig. Beim ersten Mal fiel sie in den Sand zurück und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Aber Paul kreiste bereits über ihr und rief: „Du schaffst es! Probier es gleich nochmal!“

Der zweite Start gelang prächtig und Alwine befand sich auf einmal hoch oben über allen Menschen in der Luft. Ihre Flügel funktionierten fast wie von alleine und Alwine konzentrierte sich darauf, was sie alles sehen konnte und wie schön sich der Wind um sie herum anfühlte, ganz seidig. Und das Beste war, ihr wurde gar nicht schwindelig!

Was war das für ein Anblick, all die Menschen unter ihr, mit den verschiedensten Dingen beschäftigt. So ein buntes Gewusel, da könnte sie stundenlang zuschauen.

Fast hätte sie laut losgejauchzt, aber das wollte sie denn doch nicht riskieren. Im Moment nahm niemand Notiz von Paul und ihr und das sollte ja auch so bleiben, nicht wahr?

Dann musste sie doch noch einmal kurz inne halten. Beinahe hätte sie nämlich Jakobs Schaufel vergessen. Wer buddeln will, braucht eine Schaufel, dachte Alwine belustigt, nahm Schwung und sauste wie der Blitz hinter Mama durch die Luft. Die schien gar nichts zu merken, obwohl Alwine mit ihrem Sturzflug sogar ein bisschen Wind produzierte.

Was für ein Spaß!

Nun flatterte Paul direkt neben ihr und Alwine merkte, dass sie viel größere Flügel als er hatte und deshalb besser durch die Luft glitt, fast mühelos. Daran könnte ich mich gewöhnen, dachte sie glücklich. Ein tolles Gefühl.

„Komm“, sagte Paul, „Ich kann die Zeit nicht ewig anhalten. Beeilen wir uns.“

Alwine nickte, hielt die Schaufel ganz fest in ihren Händen und fragte: „In welche Richtung müssen wir denn?“

„Dort hinten, wo der Strand leerer wird. Auf der Düne ist der Schatz versteckt.“

Viel zu schnell hatten sie die Strecke zurückgelegt. Alwine drehte noch eine winzig kleine Zusatzrunde, bevor sie neben Paul landete. Dem Sand sah man nicht an, dass hier etwas vergraben war. Naja, vielleicht, wenn man ganz genau hinschaute, sah man ein paar zerdrückte Gräser.

Paul hopste schon wieder auf und ab. „Hier. Hier ist es.“

Das wird spannend, dachte Alwine, als sie die Schaufel durch den Sand zog, denn der rieselte immer wieder nach. Spannend und ein bisschen mühsam. Aber für ein gutes Werk lohnte sich die Arbeit.

Tatsächlich musste sie eine ganze Weile angestrengt graben, bis sie auf Widerstand stieß. Dann bekam sie ein Stück von einem Sack zu fassen. Alwine strengte sich mächtig an, aber der Sack war schwer und sie hatte nicht genug Kraft. Paul hüpfte ganz aufgeregt über den Sack, hin und her und hoch und runter, pickte hier und pickte dort.

„Los, Alwine, du bist ein großes Mädchen. Du schaffst das!“, feuerte er sie an.

Alwine stemmte die Hacken in den Sand, spannte alle Muskeln an und richtig, nun bewegte sich der Sack ein bisschen und als sie noch einmal alle Kraft anstrengte, flutschte er aus seiner Grube heraus und Alwine fiel auf ihr Hinterteil.

„Puh! Das war aber ganz schön schwer!“

Paul hüpfte ihr auf die Schulter. „Los, los, lass uns nachsehen!“!

Das musste er Alwine nicht zwei Mal sagen. Flink nestelte sie den doppelten Knoten auf, mit dem der Sack zugebunden war. Und dann staunten beide erst einmal atemlos. Wie das glitzerte und glänzte! Die Sonne brachte die Schmuckstücke regelrecht zum Leuchten. War das ein Anblick! Eine Augenweide!

Fast tat es Alwine leid, dass sie diese schönen Sachen, diesen Schatz, zurückgeben sollte. Aber nun ja, der Mann in der Zeitung hatte wirklich traurig ausgesehen. Da half alles Staunen nichts, der Schatz musste zurück zu seinem Eigentümer. Oder doch erst zur Polizei?

Fragend schaute Alwine zu Paul. Der schaute zurück und zwinkerte zwei Mal mit den Augen, neigte den Kopf und fragte: „Was ist?“

„Ähm, naja, sollen wir den Schatz zur Polizei bringen?“

Paul setzte sich in den Sand, plusterte sich ein bisschen auf und zog den Kopf ein, fast, als ob er sich für etwas schämte.

„Meinst du, dass die dir glauben, wenn du erzählst, wie du den Schatz gefunden hast?“

Das, ja das, konnte Alwine sich beim allerbesten Willen nicht vorstellen. Aber falsch war es doch trotzdem, nichts zu sagen, oder?

„Du entscheidest.“, sagte Paul.

Das war leichter gesagt, als getan. So verzwickt war das!

Alwine brummte schon der Kopf vom Nachdenken, als ein mächtiger Schatten über Paul, den Schatz und sie fiel.

Ein riesiger Vogel landete direkt vor Alwine, so groß, dass das Meer gar nicht mehr zu sehen war.

Alwine blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen. Paul aber schien den Neuankömmling zu kennen. Während der riesige Vogel sein Gefieder ordnete, flüsterte Paul leise aber respektvoll: „Das ist der MifGLUG. Der Minister für Gute Laune und Gerechtigkeit.“

Alwines Mund formte immer noch ein „Ooooh…“. Das sah lustig aus. Wahrscheinlich nahm Alwine das gar nicht wahr, so sehr staunte sie über das Auftauchen des Ministervogels. Der sah aber auch prächtig aus und wie gewaltig er war! Während Paul eher wie eine zu groß geratene Möwe in Himmelblau aussah, war der Minister viel viel größer als jeder Vogel, den Alwine jemals gesehen hatte. Außerdem besaß der Minister ein strahlend weißes Federkleid. Aber nicht nur strahlend weiß, nein! Zur Hälfte waren seine Federn golden und wenn er die Flügel bewegte, blitzten und funkelten die Federspitzen. Und ja, er sah auch nicht wie eine pummelige Möwe aus, sondern eher wie ein sehr großer Adler. Eine imposante Erscheinung!

Der Minister hatte sein Federkleid geordnet und sah jetzt auf Paul und Alwine herab, die beide mit dem Kopf im Nacken zu ihm hochstarrten.

Mit einer sehr angenehmen Stimme sagte der Minister: „Ich denke, ab hier übernehme ich den Fall.“

Und weil Alwine nichts sagte, denn sie war immer noch zu verblüfft, fügte er hinzu: „Ihr habt das beide wirklich sehr gut gemacht. Aber nun kehrt zu Alwines Familie zurück. Ich kümmere mich um alles Weitere.“

Sprachs, packte den schweren Sack, breitete die Flügel aus und flog davon. Nur ein paar funkelnde Lichtblitze zeugten davon, was hier gerade passiert war.

Alwine schüttelte erstaunt den Kopf. Konnte das alles wahr sein? Nicht zu fassen!

Paul hüpfte auf ihr Knie und erinnerte sie daran, dass sie zu ihrer Familie zurückkehren müsste, wie es der Minister gesagt hatte. Schon flatterte er aufgeregt mit den Flügeln.

Den Rückflug genoss Alwine. Wenn sie schon fliegen konnte, dann wollte sie das doch richtig ausnutzen. Das konnte ja alles nur ein Traum sein. Fliegen können und dazu ein sprechender Vogel. Das war doch schon recht verrückt. Oder wie seht ihr das?

Alwine drehte über ihrer Mama, die immer noch mit Jakob spielte, gleich drei elegante Runden. Dann landete sie vorsichtig, setzte sich wieder auf ihren Platz und beobachtete, wie Paul ebenfalls landete. Mama und Jakob nahmen keine Notiz von ihr und schon deshalb war Alwine sicher, dass sie in der Sonne eingeschlafen war und träumte. Alles andere ergab ja keinen Sinn. Hoffentlich holte sie sich nicht gerade einen Sonnenbrand. Sie wusste, dass das sehr weh tun konnte.

Paul sah ein bisschen traurig aus und Alwine ahnte, dass er sich nun verabschieden und sie gleich aufwachen würde. Das machte sie auch ein bisschen traurig. Aber sie war froh, dass sie Paul hatte kennen lernen dürfen. Nun würde der schöne Traum gleich enden, wie schade.

Paul hüpfte noch einmal um sie herum, nestelte ein bisschen an Alwines Haar, als ob er sich eine Haarsträhne als Andenken mitnehmen wollte, und dann sagte er leise: „Tschüss und vergiss mich nicht!“

Dort, wo Paul gesessen hatte, war auf einmal Leere. Auch auf Stellas Po saß kein blauer Vogel mehr, Mamas Hut war wieder leer und nirgends, auch nicht auf Papas großem Zeh, war mehr ein blauer Vogel zu sehen. Das war ganz schön traurig.

Alwine hatte trotzdem den Rest des Tages richtig gute Laune. So einen tollen Traum hatte sie noch nie geträumt! Schade nur, dass es keinen Paul gab. Es wäre lustig, ihn immer bei sich zu haben, als guten Freund und Spielgefährten.

Auf dem Heimweg zur Ferienwohnung plapperte sie fröhlich mit Mama und erzählte von ihrem tollen Traum. Gerade als sie noch einmal Pauls schönes himmelblaues Gefieder beschrieb, fasste Mama ihr ins Haar und zog eine Feder hervor. Eine himmelblaue Feder wohlgemerkt. Und sie fragte Alwine lächelnd: „Schau mal… Sooo blau?“