Skip to main content

Vertrauen kontra Misstrauen


Misstrauen

Kürzlich fragte ein anderer Autor, ob ich Situationen kenne, in denen ich zu vertrauensselig gewesen sei und ob es nicht besser wäre, grundsätzlich misstrauischer zu sein.

Spontan antwortete ich ihm, dass es wohl jeder kennt, wenn entgegengebrachtes Vertrauen missbraucht wird. Aber dass ich kein Leben wolle, in dem ich stets und ständig von Misstrauen geplagt wäre. Und als solche empfände ich es: eine Plage.

Natürlich ist es besser, wenn wir uns vorher überlegen, wem wir was erzählen. Der größten Dorftratsche sollte man nicht seine intimsten Geheimnisse anvertrauen, das ist wohl klar. Klar ist auch, dass wir in Zeiten von Fake-News und KI-generierten Bildern und Videos schon lieber 2x überlegen oder auch recherchieren sollten, wie hoch der Wahrheitsgehalt der Information sein kann – wenn uns dies wichtig genug ist. Dem gegenüber steht die Wahl, grundsätzlich alles misstrauisch zu beäugen. Das ist eine Vorstellung, die ich echt gruselig finde, denn Misstrauen ist ein recht negatives Gefühl. Aber es ist auch ein Mechanismus, der uns vor Verletzungen schützen soll.


Stelle ich mir Misstrauen als Ritterrüstung vor, so bietet sie mir Schutz. Aber sie ist auch schwer, unhandlich und schränkt mich in der Sicht und in der Bewegungsfreiheit ein. Ziehe ich die Ritterrüstung an, treibe ich gerade den Teufel mit dem Beelzebub aus, wie man so schön sagt. Ich tausche den einen Nachteil gegen andere Nachteile ein.

Ja, soll ich denn immer und gegenüber Jedem Vertrauen haben? Nein.

Wir sollten schon abwägen, wem wir etwas anvertrauen können oder was wir lieber für uns behalten sollten. Wir dürfen aber auch grundsätzlich darauf vertrauen, dass Personen, die uns bisher wohlwollend gegenüber getreten sind, uns keinen Schaden zufügen wollen – es sei denn, die Umstände haben sich verändert. Und selbst wenn wir in einer Situation einmal zu vertrauensselig waren, dürfen wir ebenso darauf vertrauen, dass dieser Fauxpas alsbald in der Versenkung verschwindet. Nur böse Menschen würden dies ausnutzen und immer wieder aufwärmen. Aber da wissen wir dann ja, was wir künftig davon zu halten haben. Ein solcher Vertrauensbruch ist schmerzhaft, aber gehört zum Lernprozess dazu.

Sind wir zum Beispiel auf die Hilfe Fremder angewiesen, hilft uns Misstrauen erst einmal nicht. Wir müssen zunächst Vertrauen haben und müssen unser natürliches Schutzbedürfnis zurückstellen. Dafür hat uns aber die Evolution das Bauchgefühl gegeben. Leider ignorieren viele Menschen dieses Signal und wundern sich dann, warum sie die Situation so katastrophal falsch eingeschätzt haben. Unser Bauchgefühl warnt uns in der Regel schon recht früh, wenn etwas nicht stimmt. Kürzlich las ich „Das Bauchgefühl ist ein kluger Kopf“ und das stimmt tatsächlich. Eine Ausnahme würde ich machen. Unser Bauchgefühl warnt uns gern auch, wenn wir uns einer neuen Herausforderung stellen. Dann grummelt es in unseren Eingeweiden, mit dem Ziel, der „riskanten“ Situation auszuweichen. Unser Bauchgefühl kann in diesem Fall nämlich nicht einschätzen, ob das gut oder schlecht für uns ist und geht lieber auf Nummer „sicher“. Auch dann sollten wir erst einmal zuhören, was unser Bauch sagt und dürfen es anschließend, nach Abschätzung der Lage, gern ignorieren. Unser Bauch lernt nämlich durchaus dazu.

Als Autorin fand ich die Frage nach Vertrauen kontra Misstrauen richtig spannend. Mein Bauchgefühl hat mir nämlich sofort signalisiert, dass erhöhtes Misstrauen ein blödes Ding ist, wenn es dafür keinen offensichtlichen Grund gibt. Wenn ich meine Figuren gestalte, dürfen die selbstverständlich vertrauensselig oder misstrauisch sein. Das ist ja schon sehr menschlich. Aber je mehr ich die Figur in die eine oder andere Richtung schiebe, desto interessanter wird der Charakter. Ist jemand sehr misstrauisch, wollen wir natürlich gern wissen, warum derjenige so geworden ist. Ist jemand sehr vertrauensselig, schlägt unser Gefühl Alarm und wir fiebern mit, ob das denn gerechtfertigt ist usw. Also Vertrauen oder Misstrauen ist ein Spannungselement. Da hab ich grad beim Schreiben dieser Zeilen etwas dazugelernt!