Romantische Geschichten

Ein Erlebnis während meiner letzten Reha fand ich sehr beeindruckend.
Eine junge Therapeutin interessierte sich für mein Schreiben und bat mich während einer Behandlung, mal etwas zum Besten zu geben. Ich skizzierte eine kleine romantische Geschichte, die ich kürzlich geschrieben habe, freute mich über die Begeisterung der Therapeutin und vergaß die kleine Episode. Sie offenbar nicht.
Einige Tage später sprach mich eine fremde Patientin an, ob ich die Frau sei, die so schöne Geschichten schreibt. – Ja, bin ich. Sie hätte von dieser Liebesgeschichte gehört und alle am Tisch hätten mit Tränen in den Augen dagesessen. Und nun möchten sie gerne wissen, wie es ausgeht.
Ich habe es ihr natürlich gesagt und hatte anschließend stundenlang ein Grinsen im Gesicht. Sie hoffentlich auch. Ich war gleichzeitig erfreut, erstaunt und belustigt. Wie hatte meine Story so schnell die Runde machen können? Und wieso konnte sie fremde Menschen zu Tränen rühren?
Obwohl laut meiner Internetrecherche im deutschsprachigen Raum die Top-Genres Krimis und Thriller sind, erobert auch immer mehr das Genre Romance/ Romantik das Publikum. Mit Liebesgeschichten lässt sich gutes Geld verdienen. Aber warum ist das so?
Offensichtlich brauchen wir diese Geschichten über das Kennenlernen, das Verlieben, den Herzschmerz, die Schmetterlinge im Bauch und auch den Sex, weil es in Zeiten des Onlinedatings eben seltener dieses romantische Kennenlernen per Zufall gibt, dieses langsame Verlieben, dieses Kribbeln rund um die Frage, ob wir zueinander passen. Da wird eine App geöffnet, Bilder gesichtet, nach links und rechts gewischt, wird online Kontakt auf Grund dieses Bildes angebahnt und es werden genauso schnell Kontakte abgebrochen, weil es eben nicht sofort funkt. Auch der Sex kann schneller und anonymer stattfinden, ist in der Hauptsache nicht mehr ans Verlieben gebunden und wird dadurch zum Zweck der unverbindlichen Begierdenstillung degradiert. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Wer in einer langjährigen Partnerschaft lebt, vermisst vielleicht aber auch dieses romantische Werben, dieses besondere Gefühl, wenn man sich das erste Mal aufeinander einlässt, die Zärtlichkeit, die gerade in frischen Beziehungen eine große Rolle spielt. Der Alltag hat uns im Griff und muss bewältigt werden, der Partner ist fest in uns verankert, unser Leben ist sicher und schön. Dabei bleibt doch eine kleine Sehnsucht danach, wie es wäre, wenn wir uns noch einmal neu verlieben könnten und vor allem, wie jemand um uns wirbt, uns wieder als romantisches, begehrenswertes Wesen betrachtet. Ausnahmen bestätigen natürlich auch hier die Regel.
Geschichten, die unsere (oft geheimen) Sehnsüchte spiegeln, erwärmen unser Herz, lassen uns wieder jung werden oder, wenn wir jung sind, träumen von der großen Liebe, die wir noch suchen.
Das Spektrum der romantischen Geschichten ist recht groß, aber tatsächlich auch voller Klischees.
Aktuell finden wir zum Beispiel überall Bücher, in denen der Bad Boy im Zentrum des Interesses steht. Immer gut aussehend, mit tollem Körperbau, meistens tätowiert, unzugänglich, bisweilen grob, ablehnend und doch mit einem sehr gut versteckten weichen Kern, den die weibliche Protagonistin im Laufe der Handlung freilegen muss. Natürlich hat sie sich auf der Stelle in den mürrischen Schönling verliebt, weiß sofort, dass er einen weichen Kern hat und dass nur sie als einzige Person diesen Kern finden und aus seinem Schattendasein hervorholen kann. Der Bad Boy ist meist auch sofort verliebt, zeigt es aber nicht, ist trotzdem eifersüchtig wie Bolle, was wiederum der heimlich Angebeteten nicht verborgen bleibt und ihre Liebe noch verstärkt.
Naja, wer es mag. Ich gebe zu, wenn so eine Story richtig gut geschrieben ist, lese ich sie auch mal ganz gerne. Gott sei Dank gibt es noch die vielen anderen Geschichten und es findet sich, glaube ich, für jeden Geschmack etwas. Meine Favoriten sind die Klassiker „Vom Winde verweht“ und „Die Dornenvögel“. In der aktuellen Literatur „P.S. Ich liebe dich“, „Ein ganzes halbes Jahr“ oder auch „Dein Lächeln um halb acht“.
Schreibe ich selbst Liebesgeschichten, so mag ich es besonders, wenn die Figuren eher so die Durchschnittsmenschen sind, Leute mit einem vermeintlichen Makel, schlechten Erfahrungen usw. Bei mir gibt’s keine exorbitant schönen Bad Boys und keine schockverliebten Frauen, denen beim Anblick des Kerls sofort das Höschen feucht wird. Bei mir darf Zuneigung wachsen, dürfen die Figuren zweifeln, aber auch innere Hürden überwinden, wenn sie um ihr Liebesglück kämpfen. Das sind die Geschichten, in denen Leser mitleiden können.
Wenn ich genug Stories geschrieben habe, die zu diesem Thema passen, werde ich sie als Sammlung herausgeben. Und ich hoffe, dass dieser oder jener Leser/ Leserin dann auch ein Tränchen verdrückt und sagt: „Ach Gott, wie schön!“