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Kleine Augenblicke


Wie oft gehen wir daran vorbei, an den kleinen Augenblicken?

Wir haben etwas zu erledigen, wir hetzen zu einem Termin, wir werden von Schmerzen oder traurigen Gedanken abgelenkt, wir haben Ablehnung erfahren oder etwas Schönes erlebt, das uns in Gedanken begleitet, wir planen die nächste Zusammenkunft mit der Familie, wir überlegen, was wir backen werden, bei welche Hausaufgaben wir unserem Kind noch helfen müssen, wann der Besuch beim Tierarzt fällig ist  – Alltag eben.

Doch gerade die kleinen Augenblicke sind der Glitzer, den das Schicksal auf unser Leben streut, der uns Manches besser aushalten lässt oder die Freude am Tag erst recht zur Geltung bringt.

Das Bild habe ich ausgesucht, weil es genau diesen einen kleinen Augenblick widerspiegelt.

Eine Ruine, durch deren leere Augenhöhlen bereits Neues zu erblicken ist. An sich schon ein Motiv, über das sich nachdenken lässt. Oft gehe ich daran vorbei, manchmal schaue ich etwas aufmerksamer, häufiger aber nehme ich es nur am Rand wahr.


Und dann kam der Tag, an dem dieses Bild ein bisschen Glitzer bekam. Zwei Raben hatten es sich auf den beiden Lampen gemütlich gemacht, saßen sich synchron gegenüber und verliehen dem tristen Anblick der Ruine durch ihre Anwesenheit einen neuen Zauber.

Als Autorin nehme ich diese kleinen besonderen Augenblicke gern wahr, würdige sie einen Moment und speichere sie im Gedächtnis ab. Wie den alten Mann, der täglich in die Straßenbahn steigt und seinen Personalausweis hochhält, damit ihn alle sehen können. Oder den Sportler, der seinen Arm verlor, nun tapfer lernt, mit seiner neuen Prothese umzugehen und mich trotzdem anlächelt. Oder das Nachbarskind, das sich täglich darauf freut, unseren Hund zu begrüßen und gleichzeitig davor zurückschreckt.

Ob und wie diese Augenblicke unser Leben bereichern, entscheidet jeder selbst. Ich möchte nur sagen: gebt ihnen die Chance dazu.