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Das innere Glöckchen


Jeder kennt es, wenn eine ungewohnte Situation eintritt, bei manchen zwischenmenschlichen Begegnungen oder wenn wir etwas tun sollen, dessen Wirkung wir nicht einschätzen können: der Bauch grummelt. Irgendetwas sagt uns, dass da etwas nicht stimmt, irgendwas komisch ist, wir lieber vorsichtig sein sollten.

Es nennt sich Intuition oder auch Bauchgefühl. Ich nenne es das innere Glöckchen. 

Was hat es aber damit auf sich?

Im Laufe unseres Lebens lernen wir unermüdlich. Wir lernen zum Beispiel, dass es weh tut, auf die heiße Herdplatte zu fassen oder dass Leute, die uns im Dunkeln begegnen, nicht immer Gutes im Schilde führen. Wir lernen und wissen, dass wir nicht von Dach zu Dach springen können (wie es gern im Film gezeigt wird) oder dass Eisbaden etwas ist, das am besten unter Anleitung trainiert wird. Dies speichern wir. Entweder weil wir selbst die Erfahrung gemacht haben, wir gesehen haben, wie jemand anderem etwas passiert ist oder weil wir es auf vielfältige andere Weise aufgenommen und als nützlich vermerkt haben.

Die Summe dieses Wissens äußert sich in einem unguten Gefühl. Leider lernen wir in unserem Leben auch, diesem unguten Gefühl nicht immer nachzugeben. Was heißt „leider“? 


Auch wenn etwas ungefährlich ist und ich trotzdem Angst davor habe, grummelt der Bauch. Beim Schauspieler äußert es sich im Lampenfieber und wenn er dem immer nachgeben würde, könnte er seinen Beruf nicht ausüben. Geht der Lehrer erstmals vor die neue Klasse, wird er aufgeregt sein und Bauchgrummeln haben. Dann ist es gut, das Grummeln wahrzunehmen, aber es letztlich zu unterdrücken, damit wir diese neue Erfahrung machen können.

Das „Leider“ bezieht sich darauf, dass wir von Klein auf darauf trainiert werden, nicht immer unseren Bedürfnissen und Ängsten nachzugeben. Auf diese Art verlernen wir jedoch, zu unterscheiden. Und zwar zwischen den Situationen, in denen wir davon profitieren, dass wir über unseren Schatten springen und den Situationen, in denen uns dies langfristig nicht gut tut oder die uns bedrücken. 

Ich habe kürzlich ein Projekt beendet, das ich mit einer anderen Autorin zusammen bearbeiten wollte. Ein gemeinsamer Roman. Wir fanden das Thema toll, wir schrieben uns, tauschten uns telefonisch aus und ich hatte wirklich große Lust, das Experiment zu wagen. Die Chemie zwischen uns stimmte und trotzdem war da ein kleines Glöckchen in mir. Erst ganz leise, dann wurde es immer lauter und zum Schluss ganz laut. Angst konnte es nicht sein. Was brachte also mein inneres Glöckchen derart zum Schwingen? 

Ganz einfach. Ich habe eine andere Art, das Schreiben anzugehen. Meine Partnerin wünschte sich mehr Planung. Planung, die für mich schon viel zu sehr ins Detail ging, bevor wir überhaupt das erste Wort unseres Romans verfasst hatten. Tabellen wurden aufgestellt, kleine Lebensläufe geschrieben, Nebenfiguren erdacht, Namen diskutiert usw. Dies ist sicherlich notwendig, wenn zwei Autorinnen ein gemeinsames Projekt kreieren. Schließlich kann man nicht in den Kopf der anderen Person hineinschauen. 

Ich bin allerdings eher ein intuitiver Schreiber. Natürlich weiß ich im Groben, in welche Richtung es gehen soll. Aber ich genieße es, wenn ich meine Figuren im Lauf der Handlung entdecke, mit ihnen gemeinsam neue Figuren kennenlerne und ihre Abenteuer im „Schreibfluss“ entstehen. Alles, was ich in ein vorher vereinbartes „Korsett“ pressen muss, raubt mir die Kreativität und die Lust. Statt des fruchtbaren, blühenden Feldes spürte ich einen überdüngten Acker mit schwerer Krume. Die Leichtigkeit, mit der ich sonst neue Texte angehe, verschwand und das Klingen des Glöckchens war nicht mehr zu überhören.

Obwohl ich das Projekt sehr gern zu Ende bringen wollte und deshalb versuchte, das Glöckchen zu ignorieren, fühlte ich, dass ich damit ein Problem habe. Ich wusste nur nicht gleich, was es ist. Als ich es erkannte, habe ich das Projekt „gekündigt“ und fühle mich nun wieder wohler, obwohl ich dem, was hätte sein können, durchaus nachtrauere.

Zuzulassen, dass unser Bauchgefühl unseren Takt vorgibt, ist nicht einfach, aber notwendig. 

Ich bin dankbar dafür, dass ich auf mein inneres Glöckchen gehört habe. Aber ich bin auch dankbar für diese Erfahrung, die mir meinen eigenen Weg beleuchtet hat.

Wir lernen ein Leben lang – auch und gerade über uns selbst. Und meinen Roman muss ich wohl doch alleine schreiben, soviel ist inzwischen klar. Nun, dann, Ärmel hochgekrempelt!