Tipp 15 Wie kann ich Orte, Handlungen und Personen beschreiben, ohne den Leser zu langweilen?
In Tipp 9 habe ich dir erklärt, wie Show don´t Tell funktioniert. Wenn ich etwas „zeigen“ möchte, muss ich überlegen, wie ich das machen will, ohne den Leser zu langweilen oder zu ermüden.
In Tipp 17 schreibe ich etwas zu Vergleichen. Das ist ein Element, das ich zwangsläufig betrachten oder benutzen werde, damit aus einer Beschreibung eine interessante und bildhafte Darstellung wird.
Hier möchte ich darauf eingehen, wie ich Dinge noch betrachten kann.
Möchte ich zum Beispiel eine Blumenwiese beschreiben, werde ich nicht jede Einzelheit berichten, sondern mir Elemente auswählen, die stellvertretend für die anderen stehen. Hier benutze ich gerne etwas, was sonst eher beim Filmen verwendet wird: den Zoom. Das funktioniert wie bei einer Kamera und in beide Richtungen (mit unterschiedlichem Effekt).
Entweder fange ich mit einem detaillierteren Bild an (Großaufnahme Blume) und zoome dann auf die gesamte Wiese oder umgekehrt – ich zeige erst die Wiese und zoome dann in die Großaufnahme der einzelnen Blume.
Das hat den Effekt, dass ich für den Leser ein Bild kreiere, das er sich selbst zusammenbauen kann. Ich sage ihm aber, wie es geht und worauf er besonders achten muss.
Jeder Mensch kennt eine Blumenwiese. Deshalb muss ich ihm nicht jedes einzelne Blatt beschreiben und auch nicht jede Biene, die dort herumfliegt. Dennoch möchte ich eine Atmosphäre für meine Handlung erzeugen. Ich richte den Fokus auf die große rote Blume, die da in der Mitte wächst, indem ich sie entweder sofort erwähne und dann den Blick weite oder umgekehrt.
Beschreibe ich ein Zimmer, muss ich nicht erwähnen, dass es vier Wände hat, ein Fenster und eine Tür. Ich picke mir ein paar wenige Elemente heraus, die den Ort illustrieren.
Beispiel ohne Zoom:
Der Raum war vollgestellt mit Schränken, auf denen kleine Porzellanfigürchen standen, die wiederum auf mal kleineren, mal größeren, Spitzendeckchen platziert waren. Die Schränke waren braun, verglast und hatten geschwungene Beine. Die Gardinen waren geblümt. Ihr Stoff lag in schweren Falten und ließen wenig Tageslicht herein. Man konnte verschiedene Sessel und Sofas sehen. Der größte Sessel stand in der Mitte des Raumes. Er war ebenso geblümt, wie die Gardinen und die Tapeten an der Wand. Ein Kissen lag darauf, auch auf den anderen Sesseln und Sofas.
Der Leser weiß gar nicht, was er zuerst betrachten soll. Die Beschreibung ist nichtssagend.
Beispiel – Fokus zuerst auf dem Raum:
Der Raum war überfüllt mit Sesseln, Sofas und Schränken, auf denen so viele Porzellanfiguren standen, dass gar nichts anderes mehr Platz hatte. Die dichten Gardinen erzeugten eine museale Atmosphäre und nahmen dem Betrachter nicht nur Licht, sondern auch die Luft zum Atmen. In der Mitte des Raumes thronte ein Sessel. Groß und schwer. Das altertümliche Blumenmuster war auf der Sitzfläche durchgescheuert. Ein zerdrücktes Kissen verdeckte eine besonders fadenscheinige Stelle.
Der Blick schweift in den Raum und endet beim Sessel in der Mitte. Obwohl wir nicht so viel Beschreibung erhalten haben, wie im Beispiel zuvor, können wir uns den Raum trotzdem gut vorstellen. Und wir ahnen, dass der Sessel in der Mitte eine Bedeutung haben könnte.
Beispiel – Fokus zuerst auf dem Sessel:
Der Sessel war ein wahres Monstrum. Groß, schwer. Die Armlehnen abgegriffen, das geblümte Polster abgewetzt, als habe jemand Jahre und Jahrzehnte darauf gesessen. Ein Kissen lag zerdrückt in einem Winkel. Es hatte dem Benutzer wohl zusätzlich als Rückenstütze gedient.
Der übrige Raum war vollgestellt mit Sesseln und Sofas, als wollten sie dem monströsen Sessel in ihrer Mitte huldigen. Die museale Atmosphäre wurde noch durch die altertümlichen Gardinen und eine Vielzahl von Schränken verstärkt, deren Oberflächen mit Spitzendeckchen und Porzellanfiguren bedeckt waren.
Wir lenken den Blick zuerst auf den Sessel. Der Leser denkt sich: das hat etwas zu bedeuten. Vielleicht ist der Hausbesitzer darauf gestorben oder…
Das übrige Aussehen des Raumes können wir uns ebenfalls gut vorstellen, wissen aber, dass die Bedeutung in der Raummitte bei dem großen Sessel liegt.
Die Beschreibung von Handlungen funktioniert ähnlich. Sind es nur kurze Sequenzen, muss ich mir ja keinen Kopf machen, dass ich den Leser langweilen könnte. Möchte ich aber zum Beispiel beschreiben, wie Arne und Heiko einen Schrank vom Erdgeschoss in die erste Etage buckeln und wie schwer das für die beiden ist und warum sie das denn tun und wie es dann dort oben aussehen wird… Ja, dann muss ich mir etwas einfallen lassen.
Hier nutze ich die Vorstellungskraft des Lesers. Jeder hat schon mal ein Möbelstück oder etwas Schweres durch die Gegend tragen müssen. Jeder weiß, dass Treppenhäuser keine Platzwunder sind, jeder weiß… Genau.
Ich überlege mir also, welche Details sind wichtig, welche sind unwichtig. Was genau bezwecke ich mit der Szene, welche Aussage will ich damit treffen?
Ich könnte ohne Rücksicht auf Verluste die Szene so beschreiben:
Arne sagte verärgert: „Ich will das Scheißteil einfach nur loswerden. Entweder nimmst du es jetzt mit hoch in deine Wohnung oder ich schmeiß es aus dem Fenster.“
Der blondgelockte Heiko krempelte die Ärmel seines blauen Hemdes hoch, so dass sein wohlgeformter Bizeps zum Vorschein kam. „Dann lass uns loslegen.“
Er bückte sich und fasste an die untere Kante des Schrankes, kippte ihn mit einiger Mühe nach hinten und schob seine Finger zwischen Schrank und Teppich. „Los, pack mit an.“
Arne reckte sich, ließ die Fingerknöchel krachen und schob seine rechte Hand ebenfalls unter den Schrank. Er musste sich ganz schön tief bücken. Man konnte in dieser Position sehr gut seine beginnende Glatze sehen.
Nun standen sie allerdings verkehrt herum und außerdem war niemand da, der ihnen die Tür öffnen konnte. Arne stöhnte. Er angelte mit dem Fuß nach der Klinke und drückte die Tür auf. Heiko schob von hinten und klemmte ihm fast den Fuß ein. „Warte doch mal!“
Der Schrank war schwer, schließlich war er aus gutem Eichenholz.
Im Hausflur schob sich gerade Oma Müller an ihnen vorbei, bevor sie den Schrank soweit herumwuchten konnten, dass niemand mehr die Etage betreten konnte. Oma Müller huschte die Treppe hinauf. Sie trog zwei gut gefüllte Einkaufstaschen. Aus einer lugte eine Flasche Milch heraus.
Heiko versuchte, mit einer Hand den Schrank festzuhalten und mit der anderen die Tür hinter sich zu verschließen. Seine Wange presste sich an das Holz. Er sah aus, wie ein Fisch, dem die Augen herausquollen usw.
Ja, das kann man so schreiben. Ich bin mir nur nicht sicher, wie viele Seiten deines Romans du gerade mit unwichtigem Geschreibsel vergeudest und ob den Leser das wirklich so detailliert interessiert.
Wenn du nicht gerade eine Satire über zwei Männer schreibst, die sich mit einem Schrank abplagen, solltest du das Geschehen schrumpfen. Unwichtige Details, wie die beginnende Glatze, Heikos blonde Locken, das blaue Hemd, den wohlgeformten Bizeps, Oma Müller und ihre Einkaufstaschen, das gute Eichenholz, selbst den Spalt zwischen Schrank und Teppich – weg damit! Entweder hast du einige Details schon mal vorher erwähnt, wenn sie dir wichtig waren, oder du kannst sie hier streichen. In dieser Szene wirken sie nur aufblähend und behindern die Handlung. Wer will schon seitenweise lesen, wie zwei Kerle einen Schrank durch die Gegend buckeln, wenn es eigentlich darum geht, einen Möder zu fangen?
Pick dir ein paar Dinge heraus, welche die Szene gut illustrieren und konzentrier dich auf die wichtigen Informationen.
Ein Beispiel für Infodump und schlechtes Schreiben sind auch Szenen, in denen der Autor seinen Protagonisten vermeintlich unauffällig dem Leser vorstellen möchte. Da steht Robert gemütlich auf, kratzt sich am Hintern, schaut aus dem Fenster, wendet sich dann dem Spiegel zu und stellt fest, was er doch für wunderschöne braune Haare und blaue Augen hat. Wie wohlgeraten doch sein Körperbau ist, stellt Robert beim Anziehen seiner Kleidung fest. Seine schönen weißen Zähne betrachtet er beim Zähneputzen und stellt auch gleich noch fest, dass er einen femininen Mund, einen Dreitagebart und eine hohe Stirn hat.
Nee. Bitte nicht.
Ja, ich weiß, dass es Menschen gibt, die sich täglich bestaunen, als seien sie ein Weltwunder. Aber die Mehrheit der Menschen tut das eben nicht. Wer guckt schon in den Spiegel und denkt explizit: Hach was habe ich aber für eine schön Nase. Ihre Flügel sind so elegant und schlank wie bei einem Gott. Und mein Mund erst! So schön voll, mit zarten Lippen…
Sofern es überhaupt wichtig ist, das Aussehen deiner Figuren zu beschreiben, so würde ich es über die Handlung verteilen und ansonsten lediglich skizzieren. Ist es mir wichtig, dass Katja lange blonde Haare hat, okay, dann schreib ich das irgendwo. Aber ich muss nicht noch ihre Körbchengröße, die Farbe ihrer Haut, den Leberfleck am Popo und ihre niedlichen kleinen Füße erwähnen.
Lass doch bitte dem Leser seine eigene Fantasie von einer schönen Frau. So kann er sich viel besser mit der Figur identifizieren und emotional in die Handlung hineinziehen.
Ohne zu beschreiben, wie Katja konkret aussieht, kann ich das – schön über die Handlung verteilt – transportieren. Sie könnte zum Beispiel einen Einkaufsbummel mit ihrer Freundin machen. Sie sehen ein tolles rotes Kleid. Katja fragt sich, ob sie da hineinpassen könnte. Ihre Freundin sagt: „Wenn nicht du, wer dann?“
Schon wird klar, dass Katja mit ziemlicher Sicherheit eine Traumfigur hat.
In Romanen des Genres Romantic begegnen uns häufig detaillierte Personenbeschreibungen. Ich weiß nicht, ob die Leserinnen romantischer Texte weniger Vorstellungskraft haben, aber mir rollen sich die Fußnägel hoch, wenn ich Beschreibungen lese wie: Sie betrachtete seine definierten Bauchmuskeln.
Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass eine junge Frau an „definierte Bauchmuskeln“ denkt, statt „sein Sixpack sieht einfach geil aus“.
Meine Beschreibung würde so lauten:
Sie wusste, dass er regelmäßig Beachvolleyball spielte. Vor ihrem inneren Auge sah sie seinen braungebrannten Körper über den Sand fliegen, das verschwitzte T-Shirt an seinen Muskeln klebend… Weniger ist da oft mehr.