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Erinnerungen und Rituale


Neulich habe ich mit Lesern und befreundeten Autorinnen und Autoren das Thema „Erinnerungen“ diskutiert. Wir waren uns einig, dass viele (frühe) Erinnerungen mit Gerüchen, Geräuschen/ Musik oder bestimmten Gegenständen verknüpft sind beziehungsweise durch diese reaktiviert werden. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen sind Kinder frühestens ab einem Alter von 18 Monaten in der Lage, Erinnerungen zu speichern – dies meist nur sehr bruchstückhaft. Etwa ab einem Alter von 4 Jahren können sie Erlebtes so speichern, dass es später abrufbar ist. Wir erinnern uns an bestimmte Spielzeuge, mitunter an Menschen, die eine wichtige Rolle für uns gespielt haben oder an Orte, die wir häufig aufsuchten. Da das kindliche Gehirn noch nicht „fertig“ ist, sind auch diese Erinnerungen oft nur bruchstückhaft vorhanden oder erscheinen wie in einem Nebel. Manche Details fügen wir später hinzu, weil sie uns erzählt wurden – daraus bilden wir mit der Zeit eigene Erinnerungen.


Manche meiner Diskussionspartner berichteten mir von Ritualen, die ihnen aus der Kindheit in Erinnerung geblieben sind. So wurden nach dem samstäglichen Bad gemeinsam Pommes frites gegessen oder die Großeltern holten jeden Sonntag ihr Enkelkind ab und unternahmen etwas mit ihm – eine besondere gemeinsame und vor allem regelmäßige Zeit miteinander.

Wiederholtes prägt sich besser und langfristiger ein. Deshalb sind Rituale wichtig. Sie bilden in der Erinnerung einen festen Background.

Sie haben aber aus meiner Sicht noch eine andere Funktion. Rituale sind wichtig, weil sie Kindern Sicherheit und einen Rahmen/ eine Struktur geben. Der Gutenachtkuss etwa oder die Gutenachtgeschichte, das morgendliche Ritual des Aufstehens … Indem wir gleiche Abläufe modellieren, wissen wir, was auf uns zukommt. Wir müssen uns nicht auf (unangenehme) Überraschungen einstellen oder schnelle Entscheidungen treffen. Wir dürfen uns sicher und geborgen fühlen in „unserer“ Welt.

Irgendwann sind einzelne Rituale für uns nicht mehr so wichtig. So wird ab einem  bestimmten Zeitpunkt der Gutenachtkuss überflüssig und auch die Gutenachtgeschichte verliert ihre Funktion. Gleichwohl werden diese Rituale durch andere ersetzt – etwa die Zeit mit dem Sandmännchen, der abendliche Treff mit Freunden oder Schulkameraden usw.

Natürlich sind nicht immer Erinnerungen oder Rituale positiv besetzt. Kommt der Vater allabendlich betrunken nach Hause und schlägt Frau und Kind oder findet immer nach dem Sportunterricht der Missbrauch statt, dann prägt uns das ein Leben lang, weil das Gute, das Ritualen innewohnt, hier ins Hässliche verkehrt wurde. Menschen, denen die Möglichkeit genommen wurde, Rituale mit etwas Positivem zu verbinden, werden im Erwachsenenalter häufig versuchen, Rituale zu vermeiden oder aber, in der Umkehr, Rituale, die ihnen gut tun, so festzuhalten, dass sie wie ein starres Korsett wirken.

Warum beschäftige ich mich mit dem Thema?

Wer Geschichten schreiben will, in denen die Figuren überzeugend agieren, muss sich mit dem auseinandersetzen, was uns menschlich macht. Auch erfundene Kreaturen/ Wesen brauchen eine Basis für ihr Handeln, Erinnerungen, Erlebnisse, Herkunft. Selbst wenn dies in der jeweiligen Geschichte nicht direkt zum Tragen kommt, so muss der Leser spüren können, dass es für das Verhalten der Figur einen plausiblen Grund gibt. Und natürlich ist alles Menschliche ohnehin interessant. Ich lerne gerne dazu und freue mich, wenn ich wieder einen neuen Aspekt in meinem Leben entdecken kann.

Habt ihr Erinnerungen und Rituale, die ihr mit mir teilen wollt? Dann schreibt mir gerne!