Vater

Eins der Worte, die mir meine Follower für das Entstehen der Juni-Geschichte zugesandt haben, war „Vater“.
Mit dem Wort „Mutter“ verbinden wir ja alle Emotionen, gute oder schlechte oder, wahrscheinlich, ein breites Spektrum zwischen diesen beiden Polen. Aber wie steht es denn mit den Vätern? Sind Väter uns auch so nah, wie unsere Mütter? Können Sie uns so nah sein, wie die Frau, die uns geboren hat, uns gestillt und damit die engste Verbindung überhaupt geschaffen hat, die zwei Lebewesen miteinander eingehen können?
„Vater“ – so ein unscheinbares Wort und dennoch so groß.
Für meine Geschichten bin ich ja immer auf Jagd nach dem „Menschlichen“, nach den Zwischentönen, die überall zu finden sind, wenn wir genau hinschauen und wenn wir die Gelegenheit haben, Einblicke zu nehmen in anderer Leute Leben. Vorausgesetzt, wir wollen über unseren eigenen Tellerrand gucken.
Vatersein ist etwas, das Jedermann (hier im doppelten Wortsinn) für sich anders definiert. Die Vaterfigur, zu der wir aufblicken, an die wir bestimmte Erwartungen haben oder auch nur der Vater, der uns gezeugt hat und dann verschwunden ist.
19 Prozent der Familien mit minderjährigen Kindern sind alleinerziehend. Das entspricht 2,62 Millionen Alleinerziehenden im Jahr 2019, Tendenz steigend. 91 Prozent davon entfallen auf Frauen, die ihre Kinder allein großziehen. Diese Zahlen machen mich betroffen, auch wenn es sicher unzählige Gründe gibt, warum jemand sein Kind lieber ohne Vater großzieht (sofern dies eine bewusste Entscheidung ist).
Ich möchte sehr hoffen, dass die größere Zahl der Väter, die nicht mit ihren Kindern zusammenleben (können oder dürfen), sie dennoch regelmäßig sieht und ihnen dabei hilft, gute und starke Erwachsene zu werden.
Wenn ich auf meine eigene Kindheit reflektiere, so hatte ich das große Glück, mit beiden Elternteilen aufwachsen zu dürfen, auch wenn das Eheleben meiner Eltern mitunter von Stress und Streit geprägt war, was uns Kinder natürlich bedrückt hat. Und wenn ich weiterhin zurückschaue und mich frage, was mein Vater mir „vermittelt“ hat, so ist das neben der Sicherheit, ohne seelische oder körperliche Gewalt groß werden zu dürfen, das Wissen, dass Männer und Frauen gleichwertig und ebenbürtig sind.
Wenn im Keller gebastelt und gewerkelt wurde, war ich selbstverständlich dabei. Wurde der Stabilbaukasten herausgeholt und etwas konstruiert, war ich mit dabei und wurde nicht ausgeschlossen, weil ich ein Mädchen war. Ebenso selbstverständlich war es, dass mein kleiner Bruder mit Teddys und Puppen spielte. Mein Vater förderte und forderte uns entsprechend unserer Neigungen und Interessen. Er fungierte, wenn ich rückblicke, auch oft als Gegengewicht zu unserer recht strengen Mutter.
Kurzum, mein Vater hat seine Pflichten wahrgenommen und dies mit Freude und Liebe getan. Sicher war dies für ihn genauso bereichernd, wie für uns Kinder.
Ich wünschte mir, dass mehr Männer den Mut haben – wie in meiner kleinen Geschichte „Vater“ – ihre Verpflichtung zu erkennen und wahrzunehmen, auch wenn sie dafür zu einem falschen Verhalten in ihrer Vergangenheit stehen müssen. Der Preis, zu einem Fehler zu stehen und hierdurch die eigene Zukunft und die ihres Kindes positiv zu verändern, ist klein im Vergleich dazu, welche Bereicherung eine gute Beziehung zwischen Vater und Kind für beide sein kann.
Das Bild zeigt übrigens meinen Vater, meinen kleinen Bruder und mich. Entschuldigt die Qualität – es ist schon ein bisschen älter (hmnjahüstelhüstel), aber es passte so gut zu meinen Gedanken…